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Rausch der Verwandlung
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Page - 54 - in Rausch der Verwandlung

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einen hält – liegen bleiben, das Blut gelassen rinnen spüren in den Adern, das wartende Licht hinter den zartgerafften Gardinen und die Wärme, die weiche, an der atmenden Haut. Man darf angstlos noch einmal in berechtigter Trägheit die Augen schließen, man kann träumen und sich spannen und dehnen, man gehört sich selbst. Man kann sogar – jetzt erinnert sie sich, die Tante hat es ihr gesagt – auf diesen Knopf da zu Häupten des Bettes drücken, unter dem briefmarkenklein der Kellner abgebildet ist, und nicht mehr muß man tun, als den Arm bis hin spannen, und – Zauberei! – in zwei Minuten öffnet sich die Tür, ein Kellner klopft und tritt höflich ein, ein putziges Wägelchen auf kleinen Gummirädern fährt vor (sie hat eines bei der Tante bewundert) und bringt je nach Belieben Kaffee, Tee oder Schokolade in schönem Geschirr und mit weißen damastenen Servietten. Von selbst ist das Frühstück da, man muß nicht Bohnen reiben, Feuer zünden, mit frierenden, nackt pantoffelten Beinen sich am Herde mühen, nein, fertig kommt alles hereingefahren mit weißem Gebäck und goldenem Honig und solchen Kostbarkeiten wie gestern, fertig rollt ein magischer Schlitten bis ans Bett, das warme und weiche, ohne daß man sich mühen und den Finger rühren muß. Oder man kann den andern Knopf drücken, wo das Messingschild ein Mädchen mit weißem Häubchen zeigt, und schon huscht sie nach leisem Klopfen herein, mit blanker Schürze und schwarzem Kleid, fragt, was das gnädige Fräulein wünsche, ob sie die Fensterladen öffnen solle oder die Gardinen hell oder dunkel ziehen oder ein Bad richten. Hunderttausend Wünsche kann man hier haben in dieser zauberhaften Welt, und alle sind im Nu erfüllt. Alles kann man hier wollen und tun und muß es doch nicht tun und wollen. Man kann klingeln oder nicht klingeln, man kann aufstehen oder nicht aufstehen, man kann wieder einschlafen oder auch liegen bleiben, ganz wie man will, offenen Auges oder die Lider geschlossen, und sich balsamisch überströmen lassen von guten und lässigen Gedanken. Oder man kann gar nichts denken und nur dumpf wohlig fühlen: die Zeit gehört einem, man gehört nicht der Zeit. Man ist nicht getrieben von diesem rasenden Mühlrad der Stunde und Sekunde, sondern gleitet nur geschlossenen Auges die Zeit lang wie in einem Boot mit eingezogenen Rudern. Und Christine liegt, träumt und genießt dies neue Gefühl, in ihren Ohren braust wohlig erregt das Blut wie fernes Sonntagsgeläut. Aber nein – energischer Ruck aus den Kissen – nicht zuviel Träumen jetzt! Nichts von dieser einzigen Zeit verschwenden, dieser in jeder Sekunde holdere Überraschung spendenden Zeit. Träumen kann man dann zu Hause Monate und Jahre lang nachts in dem knarrenden, mürben Holzbett mit den harten Matratzen und am tintenfleckigen Amtstisch, während die Bauern im Felde sind und oben die ewig unerbittliche Uhr, ticktack, ticktack, als pedantischer Wachtposten durch das Zimmer geht: dort ist Träumen besser als 54
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Rausch der Verwandlung
Title
Rausch der Verwandlung
Author
Stefan Zweig
Date
1982
Language
German
License
PD
Size
21.0 x 29.7 cm
Pages
204
Categories
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