Page - 60 - in Rausch der Verwandlung
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Art, mit der ihm dieses Mädchen zuhört, scheint ihn wohlig anzuregen. Sein
etwas kahles und kaltes Gesicht verliert allmählich den englischen Frost, ein
gütiges Lächeln macht die etwas zu herben und dünnen Lippen freundlicher,
wenn er ihr jugendliches »Ach« oder »Herrlich«, ihr begeistertes Umwenden
und Anschauen bei jedem neuen Ausblick beobachtet. Immer wieder streift
von der Seite ein fast wehmütig lächelnder Blick ihr frisches Profil, und an
der Srürmischkeit ihrer Begeisterung lockert sich seine Zurückhaltung. Immer
geschwinder saust der Chauffeur. Wie auf einem Teppich, weich und lautlos
läuft der köstliche Wagen, kein harter Ton seiner metallischen Brust verrät im
Anstieg die mindeste Anstrengung, klug und geschmeidig paßt er sich den
verwegensten Kurven an, und einzig die immer wuchtiger ansausende Luft
verrät das steigende Tempo, indem herrliches Gefühl der Sicherheit sich der
Lust der Geschwindigkeit rauschhaft beimengt. Immer düsterer wird das Tal,
streng schieben sich die Felsen zusammen. Endlich bei einem Ausblick stoppt
der Chauffeur. »Maloja«, erklärt General Elkins und geleitet sie mit der
gleichen ehrerbietigen Höflichkeit aus dem Wagen. Großartig ist der Ausblick
in die Tiefe; in kunstvollen Kehren stürzt die Straße wie ein Sturzbach hinab;
man fühlt, das Gebirge ermattet hier, es fehlt ihm die Kraft, sich länger zu
Höhen und Gletschern zu türmen, mit einem Ruck wirft es sich hinab in ein
fernes unübersehbares Tal. »Hier unten beginnt die Tiefebene, beginnt
Italien«, zeigt ihr Elkins. »Italien«, staunt Christine auf, »so nahe ist das,
wirklich so nahe?« In diesem Aufstaunen verrät sich so viel sehnsüchtig
vorstoßende Begier, daß Elkins unwillkürlich fragt: »Sind Sie dort nie
gewesen?« »Nein, nie.« Und dieses »Nie« ist so heiß, so leidenschaftlich
betont, so sehnsüchtig gesagt, daß all die geheime Angst darin mitklingt: ich
werde es nie, ich werde es niemals sehen. Sie merkt sofort den zu lauten
Überschlag im Ton, schämt sich, und aus Verlegenheit, er könnte ihre tiefsten
Gedanken, ihre heimliche Angst wegen ihrer Armut erraten, versucht sie das
Gespräch von sich abzulenken und fragt, ziemlich töricht, den Begleiter: »Sie
kennen es natürlich, General?« Der lächelt ernst und beinahe melancholisch.
»Wo habe ich mich nicht herumgetrieben? Ich war dreimal um die Welt,
vergessen Sie nicht, ich bin ein alter Mann.« »Nein, nein!« protestiert sie ganz
erschrocken. »Wie können Sie so etwas sagen!« Und derart ehrlich ist dieses
Erschrecken, derart leidenschaftlich echt der Protest dieses jungen Mädchens,
daß der Achtundsechzigjährige plötzlich Wärme in den Wangen fühlt. Derart
heiß, derart hingerissen wird er sie vielleicht nie mehr hören. Unwillkürlich
wird seine Stimme weich. »Sie haben junge Augen, Miss van Boolen, darum
sehen Sie alles jünger, als es wirklich ist. Hoffentlich haben Sie recht.
Vielleicht bin ich wirklich noch nicht so alt und grau wie meine Haare. Aber
was gäbe ich darum, könnte ich Italien noch einmal zum erstenmal sehen.«
Wieder blickt er sie an, seine Augen bekommen plötzlich die ungewisse
unterwürfige Scheu, wie sie oftmals die älteren Männer vor jungen Mädchen
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Rausch der Verwandlung
- Title
- Rausch der Verwandlung
- Author
- Stefan Zweig
- Date
- 1982
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 21.0 x 29.7 cm
- Pages
- 204
- Categories
- Weiteres Belletristik