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EdwardTimmsbeschreibtmitBlickaufKarlKraus (1874â1936),dassdiemo-
ralischeHaltungder aus privilegiertenVerhÀltnissen stammenden Schriftsteller
inWienauchdeshalbzuproduktivemZorngefĂŒhrthabe,weildiePosition inder
und zurGesellschaft zunehmendinfragegestelltwurde.Daraus resultiertenmul-
tiple IdentitÀtskonstruktionen und biographische Kategorisierungsversuche, die
TimmsinBezugaufKrausdarlegt:
QuaGeburtwarer Jude,quaNationalitĂ€tĂsterreicher,quaWohnortWiener,quaSprache
Deutscher,quaBeruf Journalist,quagesellschaftlichemStatusBĂŒrgerundquawirtschaft-
licher StellungPrivatier. Inmitten der ideologischenTurbulenzenĂsterreich-Ungarns er-
schienenallediese ihmzugeschriebenenIdentitÀtenwieVerzerrungen.14
DieAufhebunggesellschaftlicherStrukturenundOrientierungspunkteerklÀrtviel-
leicht denwĂŒtendenEifer,mit demAkteuredes öffentlichenLebens ihreKultur-
und Zivilisationskritik Ă€uĂerten. Schaukals befremdliches Divergieren zwischen
teilsheftigenöffentlichen InvektivenundseinemgesetztenaristokratischenHabi-
tus, sein Auftreten als Antiintellektueller, hetzender Antisemit, Mann vonWelt,
wĂŒrdevoller Ministerialbeamter, WohltĂ€ter, keineswegs erfolgloser Dichter und
gesuchter Kritiker sind insgesamt Ausdruck einer Selbstverortung, die vor dem
HintergrundhistorischerBrĂŒcheumsodeutlicherwird;dieVerfĂŒgbarkeitundder
Einsatz der in jedemFeld seinesAgierens spezifischenKapitalsorten (nachBour-
dieu) zeichnet ein aufschlussreiches Bild der gesellschaftlichen Diversifizierung
unddes Positionenwechsels in den SphÀren der sozialenWelt, diemit Anbruch
derModerneauchzunehmendkomplexere sozioökonomischeSpielregelnhervor-
brachte.EinewesentlicheRollespielte fĂŒrSchaukalsSelbstwahrnehmungdieVer-
bindung von âinkorporiertenâ Merkmalen (Aristokratismus) und âobjektiviertenâ
Merkmalen (ökonomische und kulturelle GĂŒter, beispielsweise BĂŒcher in groĂer
Zahl).15 BeideerfuhrenzuSchaukalsLebzeiten in ihrer symbolischen,politischen
undgesellschaftlichenWertigkeitVerÀnderungen,diemiteiner zunehmendenLi-
terarisierungeinhergingen.
Lesekultur und Publikationslandschaft verÀnderten sich vor allem um die
Jahrhundertwende infolge industrieller Entwicklungen rasantundbeschleunigten
auchdieDistributionvonWissenundInformationinniedagewesenemAusmaĂ.16
Wie sehr Schaukalmit der Ăkonomisierung des Lesens haderte,wird aus seinen
14 EdwardTimms: Karl Kraus. Satiriker derApokalypse. AusdemEngl. vonMaxLooser und
Michael Strand.Wien 1995, zit. nachDas Kraus-Projekt. AufsÀtze vonKarl Krausmit Anmer-
kungen von Jonathan Franzen. Unter Mitarbeit von Paul Reitter und Daniel Kehlmann. Aus
demEngl.vonBettinaAbarbanell.ReinbekbeiHamburg2014,S. 103.
15 DieTerminigehenaufPierreBourdieuzurĂŒckundwerdennochnĂ€hererlĂ€utert.
16 Vgl. Wolfgang Kaschuba: Die Ăberwindung der Distanz. Zeit und Raum in der europĂ€-
ischenModerne.FrankfurtamMain2004,S. 16.
6 Einleitung:WiderspruchsgeisteinesBeamtendichters
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Title
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Author
- Cornelius Mitterer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 312
- Categories
- Weiteres Belletristik