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wordensei.180Bereits inDie feinenUnterschiede (1979; dt. 1982) bezeichnetder
Soziologe Leben als âBĂŒndel ungefĂ€hr gleich wahrscheinlicher, zu ungefĂ€hr
gleichwertigen Positionen fĂŒhrender LebenslĂ€ufe.âDer ererbte Kapitalumfang
eines jedenAkteursbildetdieBasis seines/ihres individuellenâMöglichkeitsfel-
desâ.181 Dabei stelle der Lebenslauf keine zielgerichtete KontinuitĂ€t dar, er
strebt nicht von einem Urgrund (raison dâĂȘtre) zu seiner Vollendung (telos),
sondern istdieAbfolgevonwechselndenPositionen,welchedieAkteure inder
sozialenWelt, dieman sich als dreidimensionalen Raum (oder nachBourdieu
auchalsU-Bahn-NetzbeziehungsweiseStadtplan)vorstellenkann,einnehmen.
DerEigennamebildetdie trĂŒgerischebiographischeKonstante innerhalbdieses
kontinuierlichenPositionenwechsels.182 Alle Startpositionen fĂŒhrenmit dersel-
benWahrscheinlichkeit zu allenmöglichen Endpositionen,wobei individuelle
und kollektive Krisen (zumBeispiel Kriege) stÀrkere Devianzen im Lebenslauf
hervorrufenkönnen.183
Der Kampf um eine gĂŒnstige Position und ihreWahrung ist verbundenmit
demKonflikt zwischenden imFeld âEtabliertenâundden âAufstrebendenâ, daraus
ergibt sich die erwĂ€hnte physikalische Spannung. Die âEtabliertenâ investieren
kontinuierlichdie ihnenzurVerfĂŒgungstehendenMittel, umden âaufstrebendenâ
AkteurendenZugang indie Felder zu verwehren, die sie als ihre hereditÀr ange-
stammten WirkungsstÀtten oder neu eroberten EinflusssphÀren betrachten. In
dieserAuseinandersetzungistdieVerfĂŒgungĂŒberunddasWissenumdieAnwen-
dungsmöglichkeiten der Kapitalsorten von entscheidender Bedeutung. Sie sind
der Einsatz oder âTrumpfâ,184 den jederAkteur fĂŒr die laufendeOptimierung sei-
ner Position zu leisten imstande ist.185 Bourdieu untergliedert diese Einsatzmittel
in soziales,ökonomisches,kulturellesund symbolischesKapital,dasererbtoderer-
worbenundvoneinemFeldaufdasandereĂŒbertragenwerdenkann.DieKapital-
sortensindungleichundzueinemGroĂteil aufBasiskontingenterBegebenheiten
verteilt (beispielsweiseHerkunft,Erbe).
VoraussetzungfĂŒrdasFunktionierender imFeldvorherrschendenDynami-
ken istdie Illusio, einKonsensdarĂŒber,dassundwelcheSpielregeln imjeweili-
genFeldgeltenundwelchenWertdieKapitalsortendarinaufweisen.DerWille
zurgesellschaftlichenTeilhabeunddieBereitschaft, andieWichtigkeitunddie
180 Vgl. Bourdieu:Die biographische Illusion [1986]. In: Theorie der Biographie, S. 303â310,
hierS.305.
181 Bourdieu:Die feinenUnterschiede,S. 188;Kursivsetzungwie imOrig.
182 Vgl.Bourdieu:Diebiographische Illusion,S.304.
183 Vgl.Bourdieu:Die feinenUnterschiede,S. 188â189.
184 Bourdieu:DieRegelnderKunst,S.31.
185 Vgl.Bourdieu:Die feinenUnterschiede,S.359.
48 Einleitung:WiderspruchsgeisteinesBeamtendichters
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Title
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Author
- Cornelius Mitterer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 312
- Categories
- Weiteres Belletristik