Seite - 48 - in Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
Bild der Seite - 48 -
Text der Seite - 48 -
wordensei.180Bereits inDie feinenUnterschiede (1979; dt. 1982) bezeichnetder
Soziologe Leben als „Bündel ungefähr gleich wahrscheinlicher, zu ungefähr
gleichwertigen Positionen führender Lebensläufe.“Der ererbte Kapitalumfang
eines jedenAkteursbildetdieBasis seines/ihres individuellen„Möglichkeitsfel-
des“.181 Dabei stelle der Lebenslauf keine zielgerichtete Kontinuität dar, er
strebt nicht von einem Urgrund (raison d’être) zu seiner Vollendung (telos),
sondern istdieAbfolgevonwechselndenPositionen,welchedieAkteure inder
sozialenWelt, dieman sich als dreidimensionalen Raum (oder nachBourdieu
auchalsU-Bahn-NetzbeziehungsweiseStadtplan)vorstellenkann,einnehmen.
DerEigennamebildetdie trügerischebiographischeKonstante innerhalbdieses
kontinuierlichenPositionenwechsels.182 Alle Startpositionen führenmit dersel-
benWahrscheinlichkeit zu allenmöglichen Endpositionen,wobei individuelle
und kollektive Krisen (zumBeispiel Kriege) stärkere Devianzen im Lebenslauf
hervorrufenkönnen.183
Der Kampf um eine günstige Position und ihreWahrung ist verbundenmit
demKonflikt zwischenden imFeld ‚Etablierten‘undden ‚Aufstrebenden‘, daraus
ergibt sich die erwähnte physikalische Spannung. Die ‚Etablierten‘ investieren
kontinuierlichdie ihnenzurVerfügungstehendenMittel, umden ‚aufstrebenden‘
AkteurendenZugang indie Felder zu verwehren, die sie als ihre hereditär ange-
stammten Wirkungsstätten oder neu eroberten Einflusssphären betrachten. In
dieserAuseinandersetzungistdieVerfügungüberunddasWissenumdieAnwen-
dungsmöglichkeiten der Kapitalsorten von entscheidender Bedeutung. Sie sind
der Einsatz oder „Trumpf“,184 den jederAkteur für die laufendeOptimierung sei-
ner Position zu leisten imstande ist.185 Bourdieu untergliedert diese Einsatzmittel
in soziales,ökonomisches,kulturellesund symbolischesKapital,dasererbtoderer-
worbenundvoneinemFeldaufdasandereübertragenwerdenkann.DieKapital-
sortensindungleichundzueinemGroßteil aufBasiskontingenterBegebenheiten
verteilt (beispielsweiseHerkunft,Erbe).
VoraussetzungfürdasFunktionierender imFeldvorherrschendenDynami-
ken istdie Illusio, einKonsensdarüber,dassundwelcheSpielregeln imjeweili-
genFeldgeltenundwelchenWertdieKapitalsortendarinaufweisen.DerWille
zurgesellschaftlichenTeilhabeunddieBereitschaft, andieWichtigkeitunddie
180 Vgl. Bourdieu:Die biographische Illusion [1986]. In: Theorie der Biographie, S. 303–310,
hierS.305.
181 Bourdieu:Die feinenUnterschiede,S. 188;Kursivsetzungwie imOrig.
182 Vgl.Bourdieu:Diebiographische Illusion,S.304.
183 Vgl.Bourdieu:Die feinenUnterschiede,S. 188–189.
184 Bourdieu:DieRegelnderKunst,S.31.
185 Vgl.Bourdieu:Die feinenUnterschiede,S.359.
48 Einleitung:WiderspruchsgeisteinesBeamtendichters
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Titel
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Autor
- Cornelius Mitterer
- Verlag
- De Gruyter Open Ltd
- Ort
- Berlin
- Datum
- 2020
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.0 cm
- Seiten
- 312
- Kategorien
- Weiteres Belletristik