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Die christlich philosophische StoĂrichtung des Paratextes setzt sich fort.
Schaukal verklÀrt in denerstenSeitenKunst als religiösesMysteriumundher-
metisch abgetrenntes Gesellschaftsfeld, das nur âEin-Geweihtenâ aus der Kaste
des Geistesadels zugĂ€nglich sei: Kunst sei âein verschlossenes Gebiet, eine
Gralsburg, die Berufene hĂŒten [. . .]. Krauswird immerwieder Armseligenwie
ZurĂŒckhaltenden als eitel gelten,weil sie seinenAnspruch auf denunsichtba-
renKronreifgarnicht inBetrachtzuziehen imstandesind.â84
Wesentlich fĂŒr SchaukalsKraus-Essay ist aber vor allemderAnspruchdes
Interpreten an seinen zum âIdealkonkurrentenâ erhobenen Widerpart.85 Er
stellt Kraus zuBeginn als âGleichstrebendenâund âungleichenWahlverwand-
tenâ vor,86 der, wie er selbst, einem âBunde von AlleingĂ€ngernâ angehöre.87
DiepuristischeGeistesarbeit zieheunweigerlich Isolationnachsich.KarlKraus
ist keinemythographischeĂberhöhung der behandelten Person,wie sie Ernst
Bertram(1884â1957) 1918mitNietzsche.VersucheinerMythologievorgelegthat;
Schaukal schildert sein biographisches Objekt als auĂerhalb der Gesellschaft
stehenden genialen âSonderlingâ, als dĂŒsterenDoppelgĂ€nger seiner selbst. FĂŒr
denkonsequentenmythischenZugriff fehltdiegenerationaleDistanzundAura
des verstorbenenHelden. Krauswar bei Veröffentlichung des Essays noch am
LebenundgenausoaltwiederVerfasserdesBildnisses.
SchaukalwĂ€hlte fĂŒrdiesubjektivgeprĂ€gtebiographischeHerangehensweise
immerwiederAkteuredes literarischenFeldes,mitdenen ihnnichtnurdieselbe
Generationslagerung, sondern auch der Generationszusammenhang verband, so
etwaFrankWedekind,PeterAltenberg (1859â1919)oderAndrĂ©Gide (1869â1951).
ĂberdenselbenGeburtszeitpunkt imselbenhistorisch-sozialenRaumsowieĂŒber
diePartizipationangemeinsamenprÀgendenSchicksalenhinauszielteSchaukal
auf dieHerstellung einerGenerationseinheit.Mitglieder einerGenerationseinheit
sind nicht nur per Zufallmiteinander verbunden, sie lassen sich einer sozialen
Gruppe zuordnen und reagieren auf die geistigen Strömungen der Zeit in ver-
gleichbarerWeise.88
SchaukalsEssayspart lebensgeschichtlicheFaktenzuKrausebensoostenta-
tivauswiedessenLeistungenunddieEinflĂŒsseaufdasWienerKulturleben.Ver-
gleiche mit Philosophen, allen voran Pascal (1623â1662), sowie aphoristische
SinnsprĂŒche und persönliche Lebensansichten werden assoziativ miteinander
84 Schaukal:KarlKraus,S.43â44.
85 Scheuer:Biographie,S.83.
86 Schaukal:KarlKraus,S. 11â12.
87 Schaukal:KarlKraus,S. 14.
88 Vgl.KarlMannheim:DasProblemderGeneration. In:Mannheim:Wissenssoziologie.Aus-
wahlausdemWerk.Hg.vonKurtH.Wolff.Berlin/Neuwied1964,S. 509â565,hierS. 541â555.
74 I PoseundSubjektivierung imLebenRichardSchaukals
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Title
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Author
- Cornelius Mitterer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 312
- Categories
- Weiteres Belletristik