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der methodischen Verfahren bei Hildesheimer eine anModerne und Postmo-
dernegeschulte Tiefe, die Schaukalnicht andenTag legenkonnte.Aberbeide
sprechen ihrenTextenessayistischeTendenzenzuundsosindSchaukals theo-
retischeBemerkungenzumbiographischenVerfahrendenenvonHildesheimer
nicht unähnlich, etwa wenn er „die Objektivität des Kritikers“ als eine „der
WahrhaftigkeitbeflisseneSubjektivität“bezeichnet.93
DassSchaukalandererseitsder impressionistischenEindruckskunstverhaf-
tet blieb, zeigt seine sonderbareUnterteilungzeitgenössischerLiteraten inDra-
men-undProsa-Autoren sowie inLyriker, Essayisten, Satiriker. Letztgenannte,
unterdieersichselbst reiht, seienaufVermittlungdes„Eindrucks“bedacht.Es
wirddeutlich, dass Schaukal noch 1933 Tendenzen einer Poetik der impressio-
nistischen Kritik und Rudimente von ErnstMachs (1838–1916) Empiriokritizis-
mus ineineeigentümlichebiographischeMethodiküberträgt.94
EinZeichenderZeit isthingegendieBegründungvonKraus’kämpferischer
Geistesenergiemit dem antisemitischen Topos des jüdischenHeimatverlustes.
ImGegensatz zur „Breite eines räumlichenZusammenhanges“ (derDeutschen)
wahrtendie Juden einenüberterritorialen Zusammenhalt in der „Blutsgemein-
schaft“.95 ZuSchaukalsAntisemitismusausSozialneidgesellte sich indenspä-
teren Jahren ein biologisch-rassistischer Judenhass. Kraus hatte 1899 die
jüdischeGlaubensgemeinschaft verlassen,war 1911 zumKatholizismuskonver-
tiertund1923wiederausderkatholischenKircheausgetreten.MitBlickaufdas
Jahr der Publikation ist Schaukals Essay Beleg undMenetekel für die zuneh-
mendeVehemenzundTotalisierungdesantisemitischenDiskurses,derauch in
den Texten virulent wurde, die sich eine vordergründig positive Auseinander-
setzung auf die Fahnen schrieben. ImOktober 1933 setzte Karl Krausmit sei-
nem Gedicht „Man frage nicht“ ein Zeichen gegen die nationalsozialistische
Bedrohung.DasGedichtwurde inHeft888derFackelabgedruckt,der einzigen
imJahr1933erscheinendenAusgabe,diezudemnurvierSeitenumfasste.
DieAuseinandersetzungSchaukalsmitKraus steht imZeichenseinerbis-
weilen eindimensionalen, dann aber wieder sehr komplexen ästhetischen
wie ideologischen Anschauung. Einerseits lehnte er den nationalsozialisti-
schen ‚Anschluss‘ Österreichs an das Deutsche Reich ab. Auf der anderen
Seitewird imbiographischenKraus-EssaySchaukals dogmatischerAntisemi-
tismus und seine ambivalente Haltung zumKrieg deutlich. ÜberDie letzten
TagederMenschheit schreibt er:
93 Schaukal:KarlKraus,S. 18.
94 Vgl.Schaukal:KarlKraus,S.48.
95 Schaukal:KarlKraus,S. 22–23.
76 I PoseundSubjektivierung imLebenRichardSchaukals
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Title
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Author
- Cornelius Mitterer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 312
- Categories
- Weiteres Belletristik