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fizieren,währendderBohemiendenmitdemProletariatkokettierendenKünstler
verkörpereunddaher für literarischambitionierteBürgersöhnekeineerstrebens-
wertesozialeDispositiondarstelle.7ZurdeutlicherenAbgrenzungtrügederBour-
geois Handschuhe,wie EdmondGoblot (1858–1935)– auf den sichwesentliche
ÜberlegungenPierreBourdieus stützen– inKlasseundDifferenz (1925; dt. 1994)
schreibt.8ZurräumlichenAbgrenzungwohnteer indenVillenvorortengroßer in-
dustrieller Städte, „sichtbare Relikte dieser untergegangenenWelt repräsentati-
ver, die eignen Distinktionsmerkmale zur Schau stellenden Bürgerlichkeit.“9
BekleidungundWohnortbildeten,wieauchKaffeehausundTheater,eineöffent-
liche „Raumsyntax“, die jede Stadt und ihre strukturelle Beschaffenheit lesbar
macht.10
Richard Schaukalmaß seinemäußeren Erscheinungsbild einenhohen Stel-
lenwert bei, seinDandyaufzug unddie Biedermeiervilla imWiener Vorort Grin-
zing figurierten als semiotische Distinktionsmerkmale. Er verfügte über ein
ausgeprägtes Bewusstsein für Effekt undEtikette, aus demerRespektabilität zu
generieren suchte, ein entscheidendesMittel zur Akkumulierung von sozialem,
symbolischemundkulturellemKapital.DassdieRückbindungvonelitäremAuf-
treten und gesellschaftlicher Gewandtheit an den anvisierten dichterischen Er-
folg seinen psychologischen Zweck nicht verfehlte, zeigte sich im Urteil eines
Dandysüberdenanderen.ThomasMannschildertam16.Oktober 1902 ineinem
BriefanKurtMartens (1870–1945),dendrittenDandy imBunde,11 seineersteBe-
gegnungmitSchaukalundskizziertdabei inwenigenZeilendessenHabitus:
ImSeptember [1902] lernte ich inM. [München] nochRichard Schaukal kennen, und zu
meinerÜberraschungwar ermirungemein sympathisch. Jedenfalls keinLitterat sondern
einDichter (wennauchmanchmal ein schlechter, aberdas istweniger schlimm.)Außer-
demmanierlich, gutangezogen,bescheidenausBildungundwohltuendbürgerlich.Also
ähnlichwieSie.12
ZumCharaktermodell des englischenGentlemans zählt einhoherGradanRes-
pektabilität. Damit ist ein nicht nur demAdel zur Verfügung stehender, son-
dern auch erlernbarer Habitus gemeint, der Lebensstil undKultur vereint und
7 Vgl.ArnoldHauser:SozialgeschichtederKunstundLiteratur.München1983,S.966.
8 Vgl. Edmond Goblot: La barrière et le niveau. Étude sociologique sur la bourgeoisie fran-
çaisemoderne.Paris 1925.
9 Osterhammel:DieVerwandlungderWelt,S. 1085undS. 1080.
10 Timms:DynamikderKreise,S.63.
11 Vgl. Katrin Marquardt: Zur sozialen Logik literarischer Produktion. Die Bildungskritik im
Frühwerk vonThomasMann,HeinrichMannundHermannHesse alsKampfumsymbolische
Macht.Würzburg1997,S. 123.
12 Zit.nachGirardi (Hg.):ThomasMann:BriefeanRichardSchaukal,S. 20.
84 II SchaukalsEinsatzmittel imSozialraum
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Title
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Author
- Cornelius Mitterer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 312
- Categories
- Weiteres Belletristik