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die Annäherung an den Geburtsadel erlaubt.13 Die bürgerliche Hinwendung
zumAdelundzuseinenkulturellenund identitätsstiftendenVerpflichtungen ist
eine ästhetische Verarbeitung gesellschaftspolitischer Entwicklungen; diese
Form des Aristokratismuswird auch in Schaukals Schriften deutlich.14 Da sich
die Aristokratie im ausgehenden 19. Jahrhundert jedoch aus dem kulturellen
Feld zunehmend zurückzog, auch zurückgedrängt wurde, begannen Vertreter
desmittlerenundhöherenBildungsbürgertumsdiesenFreiraumeinzunehmen.15
Waren sie imstande, die zeitlichen und finanziellen Ressourcen aufzubringen,
versuchten sie sich eventuell als Berufsschriftsteller. Ein solider Beamtenposten
glichdemWerteinesSchreibstipendiums,weswegendiedichtendenStaatsange-
stelltenwohl kaumauf die Idee gekommenwären, den gesellschaftspolitischen
Status quo literarisch infrage zu stellen. Vielmehr huldigten sie diesem inForm
einespoetischenRealismus, demauchdienachfolgendeDichtergeneration zum
Teil noch anhing. Ein Zusammenhang vonBeginn der historischenAvantgarde
und Ende sowohl des bĂĽrgerlichen Zeitalters als auchmonarchischer Systeme
liegt nahe. Franz Kafka (1883–1924) ist vielleicht das radikalste Beispiel einer
neuen literarischen Expressivität, die sich in ebendiesem Spannungsfeld aus
anachronistischenBürokratenstrukturenundModernitätsimpulsenbiographisch
auf-undkĂĽnstlerischentlud.
Nach demWeltkrieg differenzierten sich die Berufssparten fĂĽr dichterisch
Ambitionierte aus, viele sicherten ihrGrundeinkommenmit journalistischenAr-
beiten oderÜbersetzertätigkeiten.16 AuchSchaukalwar bestrebt, sichmöglichst
breit zu positionieren, die ihm in denunterschiedlichen Feldern zur VerfĂĽgung
stehendenKapitalsortenausgleichend zuverteilenundvor allem–wie ausden
Korrespondenzenganzdeutlichhervorgeht–sichzuvernetzen.
FĂĽr ihnbedeutetendieGrĂĽndungderRepublikĂ–sterreichundseingleichzei-
tigerAbschiedausdemStaatsdienst drastischeEinbußenansozialem, ökonomi-
schemund symbolischemKapital. DieAngst vor gesellschaftlichemAbstiegund
prekärenLebensverhältnissenführtezumFokusaufdasnochverbliebeneKultur-
Kapital. In der Erzählung „Die Krücke“ (1920) behandelt Schaukal die Ent- und
13 Vgl.Osterhammel:DieVerwandlungderWelt,S. 1068–1069undS. 1085.
14 Zu Schaukals Ăśberwindung bĂĽrgerlicher Dekadenz im Zeichen aristokratischer Kultur
vgl.Müller:DasDekadenzprobleminderösterreichischenLiteraturumdie Jahrhundertwende,
S.80–82.
15 Vgl. GĂĽnter Erbe: Aristokratismus und Dandytum im 19. und 20. Jahrhundert. In: Der
Dandy. Ein kulturhistorisches Phänomen im 19. und 20. Jahrhundert. Hg. von Joachim
H. Knoll, Anna-Dorothea Ludewig und Julius H. Schoeps. Berlin/Boston 2013, S. 11–28. Der
AufsatzstelltkeinenBezugzuSchaukalher.
16 Vgl.Norbert Bachleitner, FranzM.Eybl undErnst Fischer:GeschichtedesBuchhandels in
Österreich.Wiesbaden2000,S. 234–235. 2 Distinktionsverhalten 85
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Title
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Author
- Cornelius Mitterer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 312
- Categories
- Weiteres Belletristik