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hochgezogenen Schultern, der den Buckel nur noch unförmlicher hervortreten ließ, und
einenweichenschwarzen,breitrandigenFilzhutaufdemdichtenHaar,vorĂĽber [...].19
AnschlieĂźendwird er von seinemgroĂźbĂĽrgerlichen FreundRalfMertens, der im
Kreis der hochgestellten Gruppe weilt, verleugnet. Der bucklige Sohn einerWä-
scherin fällt am fatalenEndederErzählungweder indasMilieu zurück, ausdem
er stammt,nochgelingt ihmder sozialeAufstieg.Mathias verirrt sich in erotische
Wahnphantasien und endet schlieĂźlich imheterotopenOrt einer psychiatrischen
Anstalt.
Was Schaukal in der früherenErzählung „Mathias Siebenlist“ intuitiv und
nicht ohne Sympathie für seinen romantischen Outsider – und dann in „Die
Krücke“ sehr viel direkter aus der Warte der bürgerlichen Sozialverlierer –
schildert, ist ein rau ausgefochtener sozialer Konflikt, in dem es deutlich um
kulturelleHegemoniegeht.
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Eine Strategie, um dem Bedrohungsszenario des gesellschaftlichen Abstiegs
zu begegnen und gleichzeitig den Anschluss an die besser situierte Klasse
nicht zuverpassen, ist, imKontextderGramsci’schenAssimilierung,auchdie
Aneignung ihres Habitus. In Anlehnung anNorbert Elias (1897–1990) prägte
Bourdieu die fachterminologische Verwendung des Begriffs, den er in seiner
StudieDie feinenUnterscheide zumTeil auchmit „Hexis“ oder „Dispositions-
system“ synonymsetzt.20
Habitus ist eine vom Erfahrungswert beeinflusste Konstruktion und umfasst
das gesamte Auftreten einer Person: Lebensstil, Geschmack sowie Sprache und
Kleidung, die in Summe den Status und die soziale Zugehörigkeit abbilden. Für
Schaukals Habituswar sein frĂĽher Umgangmit denWiener Kaffeehaus-Dichtern
entscheidend. Die später vorgebrachte Ablehnung ist dabei ex negativo ein Be-
standteil der Habitusfestigung als unabhängiger Dichter, der eines literarischen
Zirkels zurGeschmacksfindungnicht bedarf. Abgesehenvondiesen erstenErfah-
rungen im Umgang mit der Wiener Kulturszene des Fin de Siècle prägten vor
allemMilitär undAdel SchaukalsWeltanschauung und seine sozialen Praxisfor-
men. Während seiner Zeit in Mährisch-Weißkirchen (1899–1903) verkehrte er
mit den an der Kavallerie-Kadettenanstalt als Lehrer wirkenden Offizieren.
19 Schaukal:MathiasSiebenlist. In:WE.Bd.4:Erzählungen.München/Wien1966,S. 121–174,
hierS. 136–137.
20 Bourdieu:Die feinenUnterschiede,S. 283undS.25.
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Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Title
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Author
- Cornelius Mitterer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 312
- Categories
- Weiteres Belletristik