Page - 90 - in Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
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ist die Verschwendung anBaumaterial, die durch schmĂĽckendes Beiwerk an
Gebäudenverursachtwerde.
Loos tritt zu einer Zeit auf den Plan, als sich, wie Bourdieu schreibt, die
„Kunst ihrer selbst bewußt“geworden ist undmit „Verneinung,Ablehnung,Ver-
zicht“aufdasbisdahinvorherrschendeDekor reagierte,welchesnuroberflächli-
cheBefriedigungeinesvulgärenGeschmacksbedeutete.VerzierungenausZement
undvergoldeteOrnamentewandeltensichmitderZeitzumAusdruckeinesphilis-
terhaften Stilempfindens, weswegen sie, so Bourdieu weiter, von Verfechtern
eines prätentiösen Geschmacks abgelehnt wurden.32 Loos’ Wirken in Wien ist
gleichbedeutend mit dem asketisch-ethischen Einbruch in den ornamentalen
MainstreamderWienerArchitekturlandschaft. ZwarkritisierteauchSchaukal„die
nutzloseArbeit“desDekorierens, vondermansichbefreienmüsse,um„diePro-
duktion zu vereinfachen“, sodassHandwerkermit geringerenMitteln höhereGe-
winne erzielen.33Aber er beruft sichdabei nicht nur auf Loos, sondernvor allem
aufeineArchitektur,wiesievordem„eisernenJahrhundert“ realisiertwordensei,
also im 18. Jahrhundert, als Kirchen, Bürgerhäuser und Schlösser eine bauliche
wie ästhetische Einheit gebildet hätten.34 Gemeint ist damit die architektonisch
ausgedrĂĽckte, rigideStandesgliederung.
DieVerbindungvonMoral,Sprachkritik,KulturkritikundArchitektur themati-
siertSchaukalvorallemauch inseiner 1910veröffentlichtenEssaysammlungVom
Geschmack.ImGegensatzzur„ehrlichenPhysiognomie“desfrüherenWienerStadt-
bildes, trügendieStraßennun„einewiderlichgemeineMaske.“Dieshängedamit
zusammen, dass sich damals eine „schön gestufte Gesellschaftsordnung“ in den
Bauwerkenausgedrückthabe,dienunvon„Barbaren“und„unterdemGedränge
der schändlichenAnkömmlinge“verschandeltwordensei.35 Loos spricht vonden
tätowierten „papua“, die alle ihre Gebrauchsgegenstände verzieren.36 Schaukal
greift dieseDiktionaufundbezeichnetdasOrnament andengeschmĂĽcktenBau-
werkenWiensals„Hottentottenzier“,eineGleichsetzungvonZierdeundvermeintli-
cherPrimitivität.37
In einer zwei Jahre später publizierten „grundsätzlichen Glosse“ stellt
Schaukal die auch heute noch aktuelle Frage: „Wem gehört die Stadt?“Aus-
32 Bourdieu:Die feinenUnterschiede,S.357.
33 Schaukal: Gegen das Ornament. In: Deutsche Kunst und Dekoration, Bd. 22 (1908),
S. 12–15,hierS. 15.
34 Schaukal: Vom ästhetischen Wesen der Baukunst. In: Deutsche Kunst und Dekoration,
Bd.21 (1907),S.48–52,hierS.48.
35 Schaukal:VomGeschmack,S. 15.
36 Loos:OrnamentundVerbrechen,S.277.
37 Schaukal:VomGeschmack,S. 16.
90 II SchaukalsEinsatzmittel imSozialraum
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Title
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Author
- Cornelius Mitterer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 312
- Categories
- Weiteres Belletristik