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schlaggebend für seine Polemik waren baulicheMaßnahmen amWiener Gra-
ben, die zur Intervention der „Vereinigung bildender Künstler Österreichs ‚Se-
zession‘ [sic!]“ geführt hatte, von Seiten der Bezirksvertretung aber mit der
Begründung zurückgewiesenwurde, Künstler hätten sich in Fragen der Stadt-
planungnicht einzumischen.38Wienwürdezusehendsvermarktet odermusea-
lisiert, so Schaukal: „Sieht man wirklich noch die ‚Pestsäule‘, oder steht sie
bereits imMuseum [. . .]?“39 Auch die Grabenfiaker würden durch Stellwagen
undAutotaxis verdrängt,40 insgesamt gehe die Stadt zusehends in den Besitz
von „Hausherren“ über, die sie in eine kommerziell ausgebeutete „Barbaren-
Ansiedlung“ transformierten.41 Marie von Ebner-Eschenbach undweitereMit-
gliederderFamilieKinsky-DubskýbeglückwünschtenSchaukal zurGlosse, die
einAnliegenzurSprachegebrachthabe,dasalteingesesseneundWahl-Wiener
nichtgleichgültig lassenkönne.42
Bourdieumeint, dass „sich der gesamte Lebensstil einer Klasse aus deren
Mobiliar undKleidungsstil“undausderArt undWeise,wieüberdiesenStil ge-
sprochen wird, ablesen lasse. Die Gegenstände drücken auf körperlich wahr-
nehmbare Art (Beschaffenheit und Form des Materials wie Parkett, Linoleum,
Fliesenboden, aber auchGerüche:Parfüm,Holz, Putzmittel) die soziale Zugehö-
rigkeit der Träger, Verwender oder Bewohner der Dinge undMaterialien aus.43
Schaukal leitet inVomGeschmack von der Kritik an historistischen Bauten auf
Fragender Inneneinrichtungüber. Kultur sei „Harmonie der Lebensgestaltung“
undmüsse vor allemdemBürgertumanerzogenwerden, das sich viel eher ein
„Konversationslexikon“ oder „‚reich illustrierte‘ Geschichtswerke“ leiste, als in
dieWohnungseinrichtungzu investieren.44Schaukal vollzieht inderAbwertung
der bürgerlichenRaumgestaltung (unddamit auch ihrer Lebensführung) nichts
anderes als die distinkte Setzung und Formulierung der eigenen Position über
einselbstbewusstesGeschmacksurteil inSachenInterieurs.MitBourdieugespro-
chen:Die von ihm formulierten „ästhetischenPositionen, die ebenso inKosme-
tik,KleidungoderWohnungsausstattungzumAusdruckkommen,beweisenund
bekräftigendeneigenenRangunddieDistanzzuanderenimsozialenRaum.“45
38 Schaukal:Wemgehört die Stadt? Eine grundsätzlicheGlosse. In:DeutscheKunst undDe-
koration,Bd.31 (1912/1913),S.34–40,hierS.34undS.38.
39 Schaukal:WemgehörtdieStadt?,S. 37.
40 Schaukal:WemgehörtdieStadt?,S. 37.
41 Schaukal:WemgehörtdieStadt?,S. 39.
42 Der Brief findet sich in: Girardi: Der Dichter Richard von Schaukal als „Konservator“ der
gutenaltenZeit,S. 295.
43 Bourdieu:Die feinenUnterschiede,S. 137.
44 Schaukal:VomGeschmack,S.29.
45 Bourdieu:Die feinenUnterschiede,S. 107.
3 GeistesaristokratieundKulturkritik 91
Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Title
- Richard Schaukal in Netzwerken und Feldern der literarischen Moderne
- Author
- Cornelius Mitterer
- Publisher
- De Gruyter Open Ltd
- Location
- Berlin
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-11-061823-5
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 312
- Categories
- Weiteres Belletristik