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Einleitende Überlegungen 15
und deutschsprachigen Raum entwickelte sich eine besondere Aufmerksamkeit
und Sensibilität, verbunden mit einer sprachlich vielgestaltigen Presse-Land-
schaft in Wien, Prag, Lemberg oder Czernowitz und einer kontinuierlichen
Auseinandersetzung mit beziehungsweise Rezeption von russischen Themen
in literarischen Texten, aber auch in anderen Künsten. Man denke hier nur
an so unterschiedliche Autoren wie Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal
oder Robert Musil mit ihren einschlägigen Tagebuchnotizen oder Kritiken, an
Hermann Broch, Heimito von Doderer, Rudolf J. Kreutz, Robert Müller, Leo
Perutz, Joseph Roth oder Stefan Zweig mit ihren essayistischen und narrativen
Texten,13 ferner an Otto Heller, Leo Lania, Fritz Rosenfeld, Arthur Rundt bezie-
hungsweise an Lili Körber mit filmisch interessanten Rezeptionszeugnissen oder
authentischen Russland-Berichten. Bei aller Differenz vereint sie das Faktum, in
verschiedenen Phasen ihrer schriftstellerischen Arbeit russische Themen unter
mitunter erstaunlich „russophilen“ Perspektiven exploriert, kritisch rezipiert
beziehungsweise dargelegt zu haben.
Man wird also die These formulieren dürfen, dass ein kulturwissenschaft-
lich unvoreingenommener Blick auf Österreich in der Zwischenkriegszeit um
die vielfältigen Kulturtransfer- und Rezeptionsbeziehungen mit Russland nicht
umhinkommen kann. Außerhalb des im engeren Sinn Politischen, aber auch
nicht völlig ablösbar von ihm, sind daher nicht nur die bereits angesprochenen
Interessenslagen bürgerlicher AutorInnen und KünstlerInnen zu sehen, son-
dern vor allem jene, die sich auf Verbindungen von revolutionärer Umgestal-
tung und revolutionär-avantgardistischer Kunst fokussierten, um zum Beispiel
an Aspekten wie Funktionalismus, Rhythmus oder Maschinenkunst neue Wege
13 Vgl. den Russland-Abschnitt in:
Hugo von Hofmannsthal:
Leben
– Werk
– Wirkung.
Hg. von Mathias Mayer u.
Julian Werlik. Stuttgart:
Metzler 2016, S.
110f. Zu Bahr und
Müller vgl. Primus-Heinz Kucher: Zwischen ‚West-östlichem Barock‘ und Dämoni-
sierung/Asiatisierung des Ostens. Strategien literarischer Anverwandlung des frem-
den Ostens bei Hermann Bahr und Robert Müller. In: Dagmar Lorenz/Ingrid Spörk
(Hgg.): Konzept Osteuropa. Der ‚Osten‘ als Konstrukt der Fremd- und Eigenbestim-
mung in deutschsprachigen Texten des 19. und 20.
Jahrhunderts. Würzburg:
Königs-
hausen & Neumann 2011, S. 131–146. Zu Kreutz sei an dessen Band Der vereitelte
Weltuntergang (1919) erinnert, der mehrere Russland- bzw. Sibirientexte enthält, zu
Broch, wie bereits angeführt, auf seinen Essay Konstitutionelle Diktatur als demokra-
tisches Rätesystem (vgl. Anm. 5) sowie an vereinzelte Eintragungen in seinem Tees-
dorfer Tagebuch für Ea von Allesch (1920), hg. von Paul Michael Lützeler, Frankfurt
a.M.: Suhrkamp 1995. Zur wechselseitigen Rezeption von Wiener und Russischer
Moderne vgl. auch Gennady Vasilyev: Wiener Moderne: Diskurse und Rezeption in
Russland. Berlin: Frank & Timme 2015, bes. Kap. 4, S. 359–402.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Title
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Subtitle
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Author
- Primus-Heinz Kucher
- Editor
- Rebecca Unterberger
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Size
- 14.8 x 21.0 cm
- Pages
- 466
- Category
- Kunst und Kultur