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Julia
Köstenberger46
In Österreich kippte zudem Anfang der 1930er Jahre die öffentliche Stim-
mung zuungunsten der UdSSR. Die Kampagne der Kirche gegen Religionsver-
folgungen in der UdSSR ließ konservative Kreise mehr als zuvor Distanz halten.
So verließ Vorsitzender Joseph Marx die ÖG, und ein repräsentativer, „unpoliti-
scher“ Ersatz nach den Vorstellungen Moskaus fand sich nicht. Sehr zum Ärger
der VOKS übernahm Anfang 1932 Adolf Vetter, Leiter des Gewerbeförderungs-
institutes der Gemeinde Wien und Mitglied des Österreichischen Werkbundes
sowie der SDAPÖ, diese Funktion. Denn die VOKS wünschte die entschiedene
Zurückdrängung der Sozialdemokraten aus der ÖG und eine verstärkte poli-
tische Instrumentalisierung des Vereins für die Kampagnen der UdSSR. Doch
diese Vorgabe ignorierte die Realität und die Furcht der Aktivisten vor dem Ver-
lust des Arbeitsplatzes in der Weltwirtschaftskrise.65 Immerhin kamen noch wei-
tere Ausstellungen in Zusammenarbeit mit dem Hagenbund beziehungsweise
mit Otto Kallir-Nirenstein und dessen Neuer Galerie zustande: 1930 die Schau
Russische Kunst von heute und 1931 Kunst im Arbeiterleben. 1931 bot Otto Neu-
rath einer Ausstellung über das sowjetische Kinderbuch im Gesellschaft- und
Wirtschaftsmuseum Raum. Die letzten Höhepunkte ergaben sich im Zusam-
menhang mit verschiedenen Tourneen und internationalen Vortragsreisen: das
zweite Gastspiel von Aleksandr Tairov 1930, die Vorträge des bekannten Polar-
forschers Rudol’f Samojlovič 1930 und 1931 und der Besuch des Volkskommis-
sars Anatolij Lunačarskij 1931.66
In dieser Phase gab es, soweit bekannt ist, nur ein sowjetisches Musikgastspiel
in Österreich:
Dirigent Nikolaj Mal’ko hielt sich im Jänner 1930 in Wien auf, als
ihn die Nachricht ereilte, dass in Moskau das Gerücht umging, er wolle nicht
mehr in die UdSSR zurückkehren. Mal’ko wurde die Frist für die Auslandsreise
nicht verlängert, Interventionen der sowjetischen Gesandtschaft in Wien für den
Dirigenten waren erfolglos,67 und Mal’ko zog es dann auch tatsächlich vor, im
Ausland zu bleiben.68 Der Sozialistische Realismus als neue Leitlinie in der Kunst
65 Vgl. ebd., S. 245f.
66 Vgl. ebd., S. 243–246.
67 Am 25.1.1930 trat Mal’ko vor dem Wiener Arbeitersymphoniekonzert auf (vgl.
dazu: Muzyka i revoljucija, H. 13/1928, S. 45; AVP RF 05/10/59/32, 1–3: Protokoll-
buch Jurenev 17.–27.1.1930; GARF R-5283/1a/142, 4: Riš an Petrov, 31.1.1930; ebd.,
7: VOKS an Riš, 1.3.1930).
68 Vgl. Svetlana Savenko: Die Rezeption emigrierter russischer Komponisten in der
UdSSR. In: Friedrich Geiger/John Eckhard (Hgg.): Musik zwischen Emigration und
Stalinismus. Russische Komponisten in den 1930er und 1940er Jahren. Stuttgart-Wei-
mar: Metzler 2004, S. 161.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Title
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Subtitle
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Author
- Primus-Heinz Kucher
- Editor
- Rebecca Unterberger
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Size
- 14.8 x 21.0 cm
- Pages
- 466
- Category
- Kunst und Kultur