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Jürgen
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Lenin „nur noch ein schattenhaftes Dasein“18 konzedierte. Seine Charakteristik
von Lenin als „unpersönlichste und am konsequentesten durchgedachte Verkör-
perung der letzten Phase der russischen Geschichte“19 deckt sich nämlich voll-
ständig mit dem Tenor von Fischers Essay „Legende: Lenin“. Er betont darin,
dass Lenin kein Privatleben habe und „das lebendige Symbol einer welthistori-
schen Bewegung“ sei.20 In direktem Gegensatz zum Nachruf im Arbeiterwillen
bezeichnet Fischer Lenin als „das organisierte Genie“.21
Der eigentliche Kerngedanke seines Essays besteht aber darin, Lenin als „die
Vereinigung von Tat und Idee in einem einzigen Menschen“22 zu feiern. Damit
übernimmt Fischer sinngemäß Otto Bauers Formulierung auf dem Linzer Par-
teitag der österreichischen Sozialdemokratie von 1926, der Lenin eine „Synthese
von nüchternem Realismus und revolutionärem Enthusiasmus“23 genannt hat.
Fischer schließt sich auch an einen historischen Vergleich aus Bauers Nachruf
an, wenn er Lenin als Synthese aus Robespierre und Napoleon deutet. Er lässt
seine Eloge in die Prophezeiung münden, Lenins Persönlichkeit sei „hinausra-
gend über die Geschichte in die Legende“.24 In seinem Drama Lenin setzte Fischer
diese scheinbar ideale Synthese der leidenschaftlichen Kritik seiner Kunstfigur
Leonid aus, die Lenins Pragmatismus aus der Perspektive einer reinen Idee der
Revolution scharf attackiert. Der Konflikt kulminiert in einem Attentat Leonids
auf Lenin.
1927 hatte Fischer das fragmentarische Manuskript mit nach Wien gebracht
und vollendete es jetzt unter dem Eindruck der vom Justizpalastbrand auf-
geworfenen Fragen. Fischer versuchte in dem Stück, die eigene Neigung zum
Enthusiasmus einer realitätstüchtigen Disziplin zu unterwerfen. So ließ er das
Volk den getöteten Lenin erwecken und Leonid letztlich scheitern. Er gab den
Text Otto Bauer zur Lektüre. Als Bauer das Manuskript gelesen hatte, bestellte er
Ernst Fischer zu sich und sagte zu ihm:
„Sie sind ein Romantiker der Revolution,
der ein romantisches Stück gegen diese Romantik schreibt.“ [EuR
188] In seiner
Autobiografie stimmt Fischer dieser Deutung zu:
18 Oskar Bluhm: Lenins Persönlichkeit. In: Arbeiterwille (23.1.1924), S. 2f.
19 Ebd., S.
3.
20 Ernst Fischer: Legende: Lenin. In: Arbeiter-Zeitung (6.11.1927), S.
17.
21 Ebd.
22 Ebd.
23 Zit. bei: ebd.
24 Ebd.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Title
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Subtitle
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Author
- Primus-Heinz Kucher
- Editor
- Rebecca Unterberger
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Size
- 14.8 x 21.0 cm
- Pages
- 466
- Category
- Kunst und Kultur