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Rebecca
Unterberger98
den Naturgewalten“ erinnerte Rollett: „Der brutale Landbewohner war gleich-
zeitig ja auch der beste Soldat“.2
Nicht (nur) um die kontrovers geführte Diskussion über das Werk Ossen-
dowskis3 zu skizzieren, wird hieraus zitiert:
Rolletts Rezension versprach grund-
legendere Einblicke in das Themenfeld, so der Titel seiner Ausführungen,
„Rußland und wir“, und bot hierfür ein Arsenal an Stereotypen betreffend „den“
Russen beziehungsweise „das“ Russische auf. Um sich über das „russische Rie-
senreich“, dortige Licht- und Schattenseiten eines neu Herandämmernden zu
informieren, war man auf Augenzeugenberichte angewiesen: Für den in der
Zwischenkriegszeit boomenden Sektor „Reiseschreibung“ zählte das bolsche-
wistische Russland zu Destinationen von besonderem Interesse. Gleiches galt
für die kapitalistischen USA, und die beiden ‚Neuwelten‘ im Westen beziehungs-
weise Osten wurden in der reiseschreiberischen Nachbereitung diskursiv auf-
fallend eng geführt. Darauf hat R. Seth Knox in seiner Studie Weimar Germany
Between Two Worlds von 2006 den Blick gelenkt:
Autoren wie Arthur Holitscher,
Egon Erwin Kisch, Arthur Rundt, Ernst Toller und Alfons Goldschmidt bereis-
ten sowohl Amerika als auch Russland, die beiden „competing world systems“
der Nachkriegszeit, was ihnen die Möglichkeit bot, Optionen für Deutschlands
Zukunft(en) in Augenschein zu nehmen.4 „America had projected its military
and industrial strength abroad, and Russia had given birth to the world’s first
socialist country through revolution.“5
Von den vier als kommunismus- beziehungsweise sozialismusnahe zu cha-
rakterisierenden Autoren Kisch, Toller, Holitscher und Goldschmidt nahm
Kisch laut Knox am dezidiertesten für die Sowjetunion Partei. Revolutionäres
Aufbegehren konnte er bei seinem USA-Besuch nicht ausmachen, was die Bot-
schaft seiner Russland-Reisetexte nur intensivierte, und zwar:
dass der deutsche
Arbeiter sich für eine hoffnungsvolle Zukunft gen Osten orientieren müsse.
2 Ebd.
3 In der Reichspost wird er als bolschewikischen Repressalien trotzender Ostasienfah-
rer gewürdigt (Maria Lang-Reitstätter:
Die geheimnisvolle Mongolei. In:
Reichspost
[fortan:
RP] (21.9.1924), S.
1–3), während ihn der Tag als „Pole[n] , dem es im zaris-
tischen Rußland sehr gut ging“ und der „in seinem neuen Buch so eine Art Dankes-
pflicht gegen jenes Rußland abzustatten“ versuche, aburteilt (M.: Schattenbilder aus
dem neuen Rußland. In: Der Tag (31.10.1928), S. 6).
4 Vgl. R. Seth C. Knox:
Weimar Germany between Two Worlds. The American and Rus-
sian Travels of Kisch, Toller, Holitscher, Goldschmidt, and Rundt. New
York u.a.:
Peter
Lang 2006 (= Studies on Themes and Motifs in Literature, Vol. 81), S. 3 bzw. 9.
5 Ebd., S.
1.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Title
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Subtitle
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Author
- Primus-Heinz Kucher
- Editor
- Rebecca Unterberger
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Size
- 14.8 x 21.0 cm
- Pages
- 466
- Category
- Kunst und Kultur