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Katja
Plachov152
den pragmatischen Gründen und Bedingungen der Selektion, Distribution und
Rezeption eines fremdkulturellen Elements – sei dies ein gedankliches Kon-
zept, ein technisches Objekt oder aber ein Text – in der aufnehmenden Kultur
fragt. Grundannahme ist hierbei, dass für die Übertragung „fremder“ Elemente
Akteure und Vermittler eine zentrale Rolle spielen, da sie, neben dem Faktor der
Kontingenz, deren Aneignung und die damit einhergehende Bedeutungstrans-
formation in der aufnehmenden Kultur maßgeblich mitlenken sowie den dor-
tigen Diskurs mitgestalten.9 Vor diesem theoretischen Hintergrund werden im
Folgenden, nach einem Aufriss zum Entstehungskontext von Geist und Gesicht,
exemplarisch die Einleitung, das erste Kapitel sowie die Sektion über bolsche-
wistische Kunst, Kultur und Literatur und zuletzt die zeitgenössische Resonanz
auf Fülöp-Millers Reisereportage analysiert.
1 Entstehungskontext
Für das Verständnis des Hintergrunds, vor dem Fülöp-Miller den deutschspra-
chigen Lesern Informationen und Interpretationen zur Sowjetunion liefert,
sind die konkreten Entstehungsbedingungen der Reisereportage von zentraler
Bedeutung: Was waren die Umstände und Absichten, die Fülöp-Millers Reisen
in die Sowjetunion bestimmten und welche Auswirkungen auf die Gestaltung
von Geist und Gesicht hatten sie?
Fülöp-Miller, als Sohn einer Apothekerfamilie 1891 in Caransebeș im heuti-
gen Rumänien geboren, reiste von seinem langjährigen Wohnsitz Wien aus zwei
Mal in die Sowjetunion: 1922 und 1924.10 Offenbar verfügte er während seiner
rund zweijährigen Aufenthalte in der kurz zuvor gegründeten Union der Sozialis-
tischen Sowjetrepubliken (UdSSR) über schlechte bis keine Russischkenntnisse,
sodass er bei der Beschaffung von Text- und Bildmaterial vor Ort wahrschein-
lich auf die Hilfe von Übersetzern angewiesen war.11 Historisch fielen seine Rei-
sen in die Phase des beginnenden Ausländertourismus sowie in eine von den
Auswirkungen des Bürgerkriegs und der anschließenden Hungersnot geprägten
9 Vgl. Thomas Keller: Kulturtransferforschung. Grenzgänge zwischen den Kulturen.
In:
Stephan Moebius u.a. (Hgg.):
Kultur. Theorien der Gegenwart. Wiesbaden:
Verlag
für Sozialwissenschaften 2011, S. 106–119, zit. S. 109f.
10 Vgl. hierzu einer der wenigen ausführlicheren Beiträge zu Fülöp-Miller:
Franz-Joseph
Wehage:
René Fülöp-Miller. In:
John M. Spalek (Hg.):
Deutschsprachige Exilliteratur
seit 1933. Bd. 2.1. Bern: Francke 1989, S.
202–216, zit. S. 204.
11 Darauf weist unter anderen ein Brief des Amalthea-Verlagsleiters hin:
Heinrich Studer
an Fülöp-Miller (12.12.1929), Amalthea-Verlagsarchiv [ohne Signatur].
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Title
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Subtitle
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Author
- Primus-Heinz Kucher
- Editor
- Rebecca Unterberger
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Size
- 14.8 x 21.0 cm
- Pages
- 466
- Category
- Kunst und Kultur