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Russische Musik im Wiener Verlag Universal-Edition 275
„musikalischer Bolschewismus“.32 Die Erwartungen gegenüber der Musik von
„echten Bolschewiken“33 erwiesen sich in der realen Begegnung in vielen Fällen
als völlig falsch. Die Mehrzahl der in der Tabelle erwähnten Komponisten waren
keine Avantgardisten, sondern eher Modernisten der post-Skrjabin’schen Strö-
mung. Neben einem traditionalistischen Romantiker wie Aleksandr Grečaninov
lassen sich aus der Retrospektive lediglich der junge Aleksandr Mosolov und der
junge Dmitrij Šostakovič als veritable Avantgardisten rubrizieren.
Zirka zwei Jahre nach Beginn der Zusammenarbeit von Meždunarodnaja
kniga und der UE wurde das erste gemeinsame Projekt realisiert: Im Januar
1925, als die UE die Erstausgabe der Studien- und Dirigierpartitur der Sechs-
ten Sinfonie von Mjaskovskij vorbereitete, führte der Verlag Verhandlungen mit
Muzykal’nyj sektor Gosudarstvennogo izdatel’stva (dt.: Musiksektor des Staat-
lichen Verlages, kurz: Muzsektor Gozisdat) bezüglich des Drucks der Orches-
terstimmen des Werks in Russland.34 Offenbar waren die Verhandlungen
erfolgreich: Die Noten wurden in Moskau herausgegeben. Die Sechste war die
einzige der von der UE verlegten Sinfonien Mjaskovsijs, deren Noten nicht in
Wien gedruckt wurden. Nachdem die UE begonnen hatte, Mjaskovskij zu ver-
legen, beschloss der Verlag, auch die Rechte für seine bereits veröffentlichten
Werke zu erwerben. Als Mittelsmann zu dem Moskauer Verlag trat Vladimir
Deržanovskij auf. Der Wunsch, aus Moskau in erster Linie die Noten der durch
die Wiener Ausgaben bereits bekannten Komponisten zu erhalten, wurde wie-
derholt in Briefen nach Moskau kommuniziert.35
Im Februar 1925 bahnte sich eine weitere Zusammenarbeit des Wiener Ver-
lags mit Muzsektor an. Muzsektor bot über Deržanovskij einige alte Ausgaben,
die man vom Verlag Jurgenson erworben hatte, zum Verkauf an. Allerdings war
nicht nur Muzsektor der Nachfolger von Jurgenson, sondern auch der bereits
32 Vgl. Eckhart John:
Musikbolschewismus. Die Politisierung der Musik in Deutschland
1918–1938. Stuttgart–Weimar: Metzler 1994; vgl. dazu die Rezension von Eleonore
Büning:
http://www.zeit.de/1994/45/tanz-den-bolschewiki/komplettansicht (Zugriff
vom 10.5.2017).
33 So war eine Rezension zu den oben erwähnten Kammermusikkonzerten sowjetischer
Komponisten betitelt, die im November des Jahres 1924 stattfanden (P. Bechert:
The
Real Bolschevists. In: Musical Courier, 1924, o.S. Dabei handelte es sich um einen
Ausschnitt ohne genaue Quellenangabe; die Zeitschrift ist leider nicht mehr auffind-
bar.
34 Vgl. Briefe Dzimitrovskijs an Mjaskovskij vom 7. und 24. Jänner 1925 (RGALI.
Bestand 2040. Verzeichnis 2. Akte 140. Blätter 5, 6).
35 Vgl. z.B. Brief Dzimitrovskijs an Deržanovskij vom 22.
Juli
1925 (VMOMK benannt
nach Michail Glinka. Bestand 3. Nr.
1045. Blatt 1).
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Title
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Subtitle
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Author
- Primus-Heinz Kucher
- Editor
- Rebecca Unterberger
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Size
- 14.8 x 21.0 cm
- Pages
- 466
- Category
- Kunst und Kultur