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Omasta und
Mayr298
War damals [1926] die Musik Untermalung und Ausdeutung des Films, so ist sie heute,
soweit sie nicht vom natürlichen Geräusch verdrängt wird, nur Steigerung des Rhyth-
mus. Beim Panzerkreuzer Potemkin ist Steigerung des Rhythmus aber Steigerung der
revolutionären Wirkung. Und darum verdient dieser sachkundig und geschmackvoll
unternommene Synchronisierungsversuch, bei seinen unumgänglichen Mängeln, unse-
ren Dank und unsere Förderung.24
In den Filmblättern fällt die Auseinandersetzung mit dem Tonfilm-Potemkin
eher kursorisch aus. „Der meisterhafte Film übte wieder dieselbe starke Wirkung
aus wie vor Jahren“, befindet die Österreichische Filmzeitung. „Die Synchronisie-
rung ist im allgemeinen [sic] recht gut gelungen, eine Reihe von Szenen wird
durch die Untermalung mit Geräuschen noch eindrucksvoller. Manchmal stört
allerdings ein Allzuviel an Musik, Lärm und Stimmengewirr.“25 In manchen Bei-
trägen, wie etwa jenem im Kinojournal, scheint nur die Inhaltsangabe von 1926
um einen Halbsatz ergänzt:
„Die künstlerischen Leistungen sind meisterhaft und
werden durch die phonetische Unterstützung dieses überwältigenden Sprech-
und Tonfilms noch gesteigert.“26 Und die viel gelesenen Paimannʼs Filmlisten
urteilen:
Die tönende Fassung bringt […] eine geschlossene Bildfolge, szenenweise durch die
Stimme eines Sprechers erläutert, oft auch durch kurze Dialoge, deren Nachsynchroni-
sation allerdings als Minus zu werten [ist]. Dagegen bringen die Meiselʼsche Begleitmu-
sik, Sprechchöre und sonstige klangliche Untermalungen Leben ins Bild.27
Während also Meisels Score stets lobende Erwähnung findet und die Geräusch-
effekte immerhin manchmal positiv bewertet werden, stößt die Synchronisation
der russischen Schiffsbesatzung durch Schauspieler der Piscator-Bühne durch-
weg auf Ablehnung. Zudem gebricht es den deutschen Dialogfetzen nicht an Red-
undanzen: „Da! Alles Würmer!“, beklagt sich ein Matrose in astreinem Deutsch
über den Fraß an Bord. „Das sollen Würmer sein?“, deklamiert ein zaristischer
Offizier sarkastisch: „Das ist ja lächerlich! Das Fleisch ist ausgezeichnet!“
Die Tonfassung des Potemkins läuft am 23. September 1930 in Wien an.
Gezeigt wird er lediglich in zwei Kinos, dem Kolosseum am Alsergrund und
dem Lux-Ton-Palastkino, das trotz seines hochtrabenden Namens in der
Ottakringer Vorstadt gelegen ist. Die in den Zeitungen geschalteten Inse-
rate bewerben den Potemkin „als Sprech- und Tonfilm in deutscher Sprache“
24 Ebd.
25 N.N.: „Potemkin“ tönend. In: Österreichische Filmzeitung, Nr. 36/1930, S.
12.
26 N.N.: Tonfilm-Premieren: Panzerkreuzer Potemkin. In: Kinojournal (6.9.1930), S. 8.
27 N.N.: Panzerkreuzer Potemkin. In: Paimann’s Filmlisten, H. 752/1930, S. 130.
Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Title
- Der lange Schatten des ›Roten Oktober‹
- Subtitle
- Zur Relevanz und Rezeption sowjet-russischer Kunst, Kultur und Literatur in Österreich 1918–1938
- Author
- Primus-Heinz Kucher
- Editor
- Rebecca Unterberger
- Date
- 2019
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-631-78199-9
- Size
- 14.8 x 21.0 cm
- Pages
- 466
- Category
- Kunst und Kultur