Page - 97 - in Schöne Wissenschaften - Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
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Gernot Mayer
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Im Hochsommer 1780 herrschte in Wien große Aufregung, als die Kisten aus Prag
endlich eintrafen – ihr Inhalt versprach schließlich eine kunsthistorische Sensation: die
ersten bekannten Beispiele der Ölmalerei. Staatskanzler Wenzel Anton von Kaunitz-
Rietberg war zur kaiser lichen Galerie im Oberen Belvedere geeilt, wo ihn Christian
von Mechel bereits erwartete.1 Der Basler Kupferstecher Mechel, der unter der Ägide
von Kaunitz damit beschäftigt war, den kaiser lichen Bilderbestand als „sichtbare
Geschichte der Kunst“2 neuzuordnen, hatte bereits große Pläne für die Prager Bilder,
die nun naturwissenschaftlich untersucht werden sollten. Mit Kaunitz kam wohl auch
sein enger Freund Graf Giacomo Durazzo zum Belvedere, um diese Gemälde zu
begutachten.3 Durazzo, der damals als Botschafter die kaiser lichen Interessen in Vene-
dig vertrat, war wenige Wochen zuvor nach Wien gereist: Wollte er die Neuordnung
der kaiser lichen Galerie mitverfolgen, die zum Ursprung der Ölmalerei führenden Bil-
der aus Böhmen sehen oder hier doch bloß um den Erlass seiner Schulden ansuchen?4
Der Graf war jedenfalls selbst als Sammler sowie als Kunstagent im Dienste von Albert
von Sachsen-Teschen mit der Konzeption von Ordnungssystemen beschäftigt.5 Zudem
befand auch er sich eben zu dieser Zeit auf einer kunsthistorischen Ursprungssuche:6
1 Große Aufregung vermittelt jedenfalls ein Brief von Kaunitz an Mechel vom 31. Juli 1780, kurz vor
der Ankunft der Bilder; Brno, MZA, G 436 (Rodinný archiv Kouniců), K. 445, Inv. 4318, fol. 5. Vgl.
dazu Gruber 2008, 203. Dieser Aufsatz basiert auf Ergebnissen der Dissertation des Autors: Mayer
2020.
2 Mechel 1783, XI. Zur Neuordnung der Wiener Gemäldesammlung und deren theoretischer Konzep-
tion vgl. grundlegend: Meijers 1995 und Fischer 2013b. Zu Mechel allgemein vgl. Wüthrich 1956.
3 Zur Freundschaft zwischen Kaunitz und Durazzo vgl. Mayer 2017.
4 Letzteres berichtet der badische Gesandte Jakob Friedrich von Stockmayer aus Wien: „Le Comte
Durazzo […] attendu depuis quelque tems, est enfin arrivé. […] Mais d’autres supposent en même
tems, qu’étant fort endetté, il a choisi sous la faveur du Prince de Kauniz son ancien Ami, le tems de
l’Absence de S.M. l’Empereur, pour venir solliciter notre liberale Souveraine, à payer ses dettes“;
Stuttgart, Landesarchiv Baden-Württemberg, Hauptstaatsarchiv, A 10, 2, Stockmayer aus Wien,
3. Juli 1780. Von Durazzos Ankunft in Wien berichtete auch der savoyische Botschafter: Durazzo
wohne derzeit bei Kaunitz, „qui il a toujours été lié d’amitié“; Turin, Archivio di Stato, Lettere
Ministri Austria, 98, Marquis Vivalda aus Wien, 24. Juli 1780.
5 Zu Durazzos Tätigkeit für Albert von Sachsen-Teschen vgl. u. a.: Koschatzky 1963 a–c, ders. 1964,
Santamaria 2012, 119–122, Michel 2014, 14–16. Mehrfach wurde die von Durazzo entwickelte Ord-
nungssystematik mit jener Mechels verg lichen, etwa Meijers 1995, 149.
6 Allgemein zu den Suchen nach Ursprüngen im 18. Jahrhundert Hönes 2014, 16–25.
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Title
- Schöne Wissenschaften
- Subtitle
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Author
- Nora Fischer
- Editor
- Anna Mader-Kratky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Size
- 20.9 x 29.3 cm
- Pages
- 306
- Category
- Kunst und Kultur