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Winckelmann im Sammlungsraum: Armut macht Geschichte 137
Das historische Argument wird hier in die Dienste einer normativen Überlegung
gestellt. Dennoch kapriziert sich Winckelmann in seinen Beschreibungen auf eine
detaillierte morphologische Beschreibung einzelner Stilmerkmale. An allen angeführ-
ten Werkbeispielen diskutiert er recht ausführlich die Bildung der Gesichter und den
Faltenwurf der Gewänder. Winckelmann präsentiert seine Auswahl von Skulpturen in
einer stilhistorischen Sequenz und suggeriert dem Leser damit eine kohärente, genea-
logische Entwicklungslinie: eine Geschichte im Singular. Der Flucht- und Endpunkt
der idealen griechischen Schönheit wird damit als Resultat einer chronologischen Ent-
wicklungsgeschichte, im Sinne der naturwissenschaft lichen Theorien einer graduellen
Morphologie dargestellt.
Ästhetik des Pseudomorphismus
Kleinteilige Stilanalysen spielen eine entscheidende und methodisch innovative Rolle
in Winckelmanns Kunstgeschichte. Vielfach finden sich in seinen Schriften Argumen-
tationen, die relative Datierungen anhand des Vergleichs solcher stilistischen Details
entwickeln. So schreibt er etwa in Hinblick auf eine Niobestatue, dass sie „Zeichen
Abb. 3: Specimens of antient sculpture. Ægyptian, Etruscan, Greek and Roman, selected from different
collections in Great Britain by the Society of Dilettanti, Band 1, 1809, Tafel LXXV (Warburg Institute
Library, Sign. CKN 1150.S62 1)
Schöne Wissenschaften
Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Title
- Schöne Wissenschaften
- Subtitle
- Sammeln, Ordnen und Präsentieren im josephinischen Wien
- Author
- Nora Fischer
- Editor
- Anna Mader-Kratky
- Publisher
- Österreichische Akademie der Wissenschaften
- Location
- Wien
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-7001-8642-7
- Size
- 20.9 x 29.3 cm
- Pages
- 306
- Category
- Kunst und Kultur