Page - 107 - in „ In diesen schweren Tagen“ - Die Technische Hochschule Graz im Ersten Weltkrieg
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gegenüber den im Felde stehenden - es mögen deren von unserer Hochschule
allein mehr als 400 sein - die wegen der Erfüllung ihrer patriotischen Pflicht die
Studien unterbrechen mußten. Wer von diesen einmal zurückkehrt, findet die
Fremden vorangeeilt, während er die Verzögerung und Beeinträchtigung, die er
an seinen Studien erlitten hat, nur mit größter Mühe wieder ausgleichen kann.
Noch schlimmer aber sieht das Verlangen der russischen Staatsangehö-
rigen aus, wenn man bedenkt, daß die Bewerber in ihrem Heimatlande mili-
tärpflichtig sind. In allen andern im Kriege befindlichen Staaten, und gerade
in Rußland, setzt man solche militärpflichtige Leute des feindlichen Staates
unter strenge Aufsicht oder in Gewahrsam, und wendet ihnen nicht etwa gar
noch Begünstigungen zu. Welche Gefühle muß aber auch der hier zurückge-
bliebene Student, den nur jugendliches Alter oder körperliche Untauglichkeit
verhindern, ebenfalls ins Feld zu ziehen, haben, wenn er neben sich, gleich be-
rechtigt, oder eigentlich bevorzugt, den Feind sitzen sieht, den seine Pflicht ja
auch in den Krieg führen müßte. Es wird nicht zu verwundern sein, wenn diese
Gefühle lebhaft zum Ausdruck kommen und die Studenten aus Rußland wenig
freundlich darauf aufmerksam gemacht werden, daß sie nicht hierhergehören.
Das Professorenkollegium ist also der Meinung, daß sie wenigstens solange
ferngehalten werden sollen, bis der Krieg beendet ist.189
Ähnlich erging es am selben 4. November 1914 den russischen Staatsan-
gehörigen Leib Gendelmann, bisher Hörer der Maschinenbauschule, und Karl
Israelson, bisher Hörer der Hochbauschule. Mittels Rundschreibens wurden
die Mitglieder des Professorenkollegiums dazu aufgefordert, eine Äußerung
zu deren Gesuchen um Inskription abzugeben, und diese fiel bei 21 Mitgliedern
einstimmig negativ aus. In der Rubrik „Anmerkungen“ wurde darüber hinaus
noch notiert: Israelson weist seit Jahren keinen Erfolg nach und ist im wahren
Sinn des Wortes ein „Bummler“.190
Dass die mosaische Herkunft der beiden Studenten bei dieser Ablehnung
durch das Professorenkollegium zusätzlich schwer wog, ist nicht von der Hand
zu weisen, auch wenn es nirgends explizit erwähnt wird.
Karl Israelson gab im Übrigen nicht auf und suchte für das Studienjahr
1915/1916 erneut um eine Inskriptionsbewilligung an. Er begründete dies mit
seinen persönlichen Verhältnissen und mit den Erfolgen der österreichischen
und deutschen Truppen am russischen Kriegsschauplatz, zumal sich sein Hei-
matort inzwischen ebenso in dem von diesen Truppen kontrollierten Gebiet
befand. Im Professorenkollegium fand Israelson allerdings nur in Professor
Alexander Tornquist einen Fürsprecher, der anmerkte, es müsse auch Perso-
nen aus okkupierten Gebieten gestattet sein zu studieren. Tornquist führte
weiters auch die akademische Lernfreiheit ins Treffen. Der zuständige Dekan
189 Konstantin Midgallo wich im Herbst 1815 als ordentlicher Hörer an die Hochschule für
Bodenkultur in Wien aus, wo er sehr wohl aufgenommen wurde. Zum Vergleich:
ATUG, Rektoratsakte 929 ex 1915, Schreiben der Statthalterei Graz vom 15. 10. 1915.
190 ATUG, Rektoratsakte 1499 et 1518 ex 1914, Schreiben vom 4. 11. und vom 8. 11. 1914.
„ In diesen schweren Tagen“
Die Technische Hochschule Graz im Ersten Weltkrieg
- Title
- „ In diesen schweren Tagen“
- Subtitle
- Die Technische Hochschule Graz im Ersten Weltkrieg
- Author
- Bernhard Reismann
- Editor
- Technische Universität Graz
- Publisher
- Verlag der Technischen Universität Graz
- Location
- Graz
- Date
- 2018
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 4.0
- ISBN
- 978-3-85125-627-7
- Size
- 20.0 x 25.0 cm
- Pages
- 334
- Keywords
- Forschungseinrichtung, Universität, Bildung, Krieg, Forschung, TU Graz
- Categories
- Geschichte Nach 1918