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Die italienische Führungsschicht und die Entstehung der österreichischen Republik
Deutschen, sich Deutschland anschließen zu wollen, nicht beanstanden, auch
wenn dies uns nicht zugutekommt.14
Nach dem Zusammenbruch des Habsburgerreiches, der – bedingt durch die
militärischen Niederlagen und durch den Druck der verschiedenen Nationa-
litäten – zwischen Oktober und November 1918 stattfand, war die Zukunft
Mittel-und Osteuropas in Ungewissheit gehüllt. Die neuen und gründlich
umgestalteten Staaten, die versuchten, sich in diesem Raum zu organisie-
ren, waren aufgrund gravierender innerer Spannungen und gegenseitiger
territorialer Ansprüche von Unruhe geprägt. So beriefen sich verschiedene
Akteure mit den unterschiedlichsten Ansinnen auf das Nationalitätsprinzip
und das Selbstbestimmungsrecht, die beide eigentlich als Grundpfeiler der
Neuordnung in der Nachkriegszeit hätten gelten sollen. Damit ergaben sich
viele Widersprüche, die weiteren Konflikten den Weg ebneten. Die Unsicher-
heiten waren – wenn man so will – umso stärker in Bezug auf Österreich
beziehungsweise Deutschösterreich, wie die Mitte November 1918 übernom-
mene Bezeichnung lautete. Da nun die Gefahr konkreter wurde, nicht nur
die in den vergangenen Jahrhunderten von den Habsburgern in der Donau-
tiefebene und am Balkan eroberten Länder, sondern auch geschlossene Ge-
biete mit überwiegend österreichisch-deutschen Bevölkerungsteilen zu ver-
lieren, richtete sich der neu entstandene Staat eher auf einen „Anschluss“
an Deutschland aus, wie sowohl die Aussagen der deutsch-österreichischen
Abgeordneten im Reichsrat als die Volksabstimmungen, welche in verschie-
denen Teilen des Landes mehr oder weniger spontan einberufen wurden,
deutlich machten. Klare Einwände erhoben aber die Siegermächte gegen
eine großdeutsche Lösung der österreichischen Frage: An vorderster Front
stand selbstverständlich Frankreich, für welches es vordringlich war, zu ver-
hindern, dass Deutschland durch den „Anschluss“ gestärkt wurde, anstatt
durch den Krieg geschwächt zu werden15.
14 Albertini an Ojetti, 23. Oktober 1918, in: Albertini, Epistolario II 1015 f. (doc. 898).
15 Alfred D. Low, The Anschluss Movement 1918–1919 and the Paris Peace Conference
(Philadelphia 1974); Giorgio Marsico, Il problema dell’Anschluss austro-tedesco 1918–1922
(Milano 1979); zu den bilateralen Beziehungen zwischen Rom und Wien siehe Federico Cu-
rato, Le relazioni italo-austriache alla conferenza della pace, in: Storia e Politica 12/3 (1973)
429–457; Irmtraut Lindeck-Pozza, I rapporti austro-italiani dal trattato di St. Germain all’av-
vento al potere del fascismo, in: Storia e Politica 13/1–2 (1974) 1–15; Rodolfo Mosca, L’Aus-
tria e la politica estera italiana dal trattato di St. Germain all’avvento del fascismo al potere
Die schwierige Versöhnung
Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Title
- Die schwierige Versöhnung
- Subtitle
- Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Authors
- Andrea Di Michele
- Andreas Gottsmann
- Luciano Monzali
- Editor
- Karlo Ruzicic-Kessler
- Publisher
- Bozen-Bolzano University Press
- Location
- Bozen
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-88-6046-173-5
- Size
- 16.0 x 23.0 cm
- Pages
- 616
- Keywords
- 20. Jahrhundert, Österreich, Südtirol, Italien, Geschichte
- Categories
- Geschichte Nach 1918