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Francesco Caccamo
Die offenen Fragen, die am Ende des Krieges in Mittel-und Osteuropa auf-
tauchten, wurden schlussendlich am 18. Januar 1919 im Rahmen der Pari-
ser Friedenskonferenz behandelt. Auch in diesem Fall zeigte die italienische
Führungsschicht ihre Unsicherheiten. Besonders hoch waren die Forderun-
gen an der Ostgrenze, gegen die sich der neu gegründete jugoslawische Staat
(Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen, kurz Königreich SHS) offen
wehrte und gegen die England, Frankreich und die USA auf verschiedene
Art und Weise Einwände erhoben hatten. Die von Orlando und Sonnino
geleitete Delegation, die sich vornehmlich mit der Adriafrage auseinander-
setzte, hielt sich bei den Diskussionen hinsichtlich Deutschlands und Mittel-
europas eher zurück in der Hoffnung, dass die anderen ihren Forderungen
später ebenfalls mit Interessenlosigkeit begegnen würden. Es ist allerdings
anzumerken, dass Italien in dieser ersten Phase der Pariser Verhandlungen
geringe Chancen hatte, zu Wort zu kommen. Engländer, Franzosen und Ame-
rikaner waren sich offensichtlich darüber einig, Deutschland einen drakoni-
schen Frieden aufzuzwingen. Sie umgingen daher lieber die heikle Frage der
österreichischen Unabhängigkeit16.
Mit welchen Gefühlen und Erwartungen sich die italienische Füh-
rungsschicht der österreichischen Angelegenheit zuwandte, lässt sich unter
diesen Umständen nur schwer nachvollziehen. Die Archivdokumente liefern
diesbezüglich keine Rückschlüsse. Etliche Hinweise sind im Briefwechsel
zwischen dem „Corriere della Sera“ und den in Paris anwesenden Spitzen-
politikern enthalten. Obwohl das Ende des Krieges, die Auflösung Öster-
reich-Ungarns und die Unruhen mit Jugoslawien jene Widersprüche, die der
facettenreichen Nationalitätenpolitik innewohnten, ans Licht gebracht und
in der Folge die Krise der Nationalitätenpolitik entfesselt hatten, blieben die
(1919–1922), in: Storia e Politica 13/1–2 (1974) 16–32; Stefan MalfÈr, Wien und Rom nach dem
Ersten Weltkrieg. Österreichisch-italienische Beziehungen 1919–1923 (Wien 1978); Luciano
Monzali, „Cancellare secolari fraintendimenti“. Appunti e documenti sulle relazioni fra
l’Italia liberale e la Prima Repubblica Austriaca, in: RHM 60 (2018).
16 Zur italienischen Politik bei der Friedenskonferenz siehe Francesco Caccamo, L’Italia
e la „Nuova Europa“. Il confronto sull’Europa orientale alla conferenza di pace di Parigi
(1919–1920) (Milano 2000); und René Albrecht-Carrié, Italy at the Paris Peace Conference
(New York 1938); Pietro Pastorelli, L’Albania nella politica estera italiana 1914–1920 (Bari
1970); Luciano Monzali, La politica estera italiana nel primo dopoguerra 1918–1922. Sfide
e problemi; in: Italia contemporanea 256 f. (2009) 379–406; Marina Cattaruzza, L’Italia e la
questione adriatica. Dibattiti parlamentari e panorama internazionale (1918–1926) (Bologna
2014).
Die schwierige Versöhnung
Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Title
- Die schwierige Versöhnung
- Subtitle
- Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Authors
- Andrea Di Michele
- Andreas Gottsmann
- Luciano Monzali
- Editor
- Karlo Ruzicic-Kessler
- Publisher
- Bozen-Bolzano University Press
- Location
- Bozen
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-88-6046-173-5
- Size
- 16.0 x 23.0 cm
- Pages
- 616
- Keywords
- 20. Jahrhundert, Österreich, Südtirol, Italien, Geschichte
- Categories
- Geschichte Nach 1918