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Francesco Caccamo
druck gebracht hatte. Dass Tittoni die „vorgeschriebene“ Unabhängigkeits-
lösung für Österreich schlussendlich unterschrieb, ist eher dem Druck der
französischen Delegation als seiner eigenen Überzeugung zuzuschreiben.
Abgesehen von der Abtretung des Trentinos und Südtirols an Italien und
von der entsprechenden Festlegung der Grenze an der Wasserscheide in den
Alpen brachte die österreichische Unabhängigkeit nämlich auch gewisse Vor-
teile mit sich, die ebenfalls in dem bereits zitierten Artikel 88 festgeschrie-
ben waren. Durch diese Klausel wurde das bereits in Versailles verhängte
Anschlussverbot bekräftigt. In dieser Hinsicht schob man der Expansion
Deutschlands bis hin zu den italienischen Grenzen einen Riegel vor: Das war
genau jenes Szenario, das Sonnino damals so sehr in Angst versetzt hatte,
während die politischen Vertreter anderer Länder gleichgültig blieben oder
dies sogar bereitwillig unterstützten. Darüber hinaus schloss diese neue Ord-
nung zum ersten Mal eine Garantie mit ein, um die Gefahr einer Donaufö-
deration, vor der die Pressegruppe des „Corriere della Sera“ so oft gewarnt
hatte, abzuwenden. Durch die österreichische Unabhängigkeit war nämlich
die Möglichkeit einer Vereinigung der Nachfolgestaaten der Habsburgermo-
narchie ausgeschlossen.
Zum Verständnis der Reaktionen, die der Artikel 88 bei der italieni-
schen Führungsschicht auslöste, scheint die umfassende Analyse von Giu-
seppe Antonio Borgese, Journalist des „Corriere della Sera“ und einer der
Hauptakteure der italienischen Nationalitätenpolitik, besonders geeignet zu
sein. Er schrieb in einem langen Brief an Albertini:
Der Art. 88 des Friedensvertrags mit Österreich stellt sich als eine unerwar-
tete und doch logische Folge der vom Corriere initiierten Kampagne heraus.
Dadurch wird Österreich nicht nur der Anschluss an Deutschland, sondern
auch jeglicher Beitritt zur Donauföderation untersagt […]. Frankreich wird
immer dann eingreifen, wenn die „Gefahr“ einer österreichisch-deutschen
Vereinigung besteht. Dennoch verfügt Italien über die Mittel, um jederzeit
einzugreifen, dort wo die Gefahr einer Donauföderation mit Österreich als
Mitglied besteht. Während Frankreich Österreich die Liebesehe verbietet, so
verbietet ihm Italien die Zwangsehe […].29
29 Borgese an Albertini, 4. September 1918, in: Albertini, Epistolario III 1276 f. (doc. 1078).
In der Fußnote stellt man fest, dass Borgese das Wort „Gefahr“ in Bezug auf den Anschluss
Die schwierige Versöhnung
Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Title
- Die schwierige Versöhnung
- Subtitle
- Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Authors
- Andrea Di Michele
- Andreas Gottsmann
- Luciano Monzali
- Editor
- Karlo Ruzicic-Kessler
- Publisher
- Bozen-Bolzano University Press
- Location
- Bozen
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-88-6046-173-5
- Size
- 16.0 x 23.0 cm
- Pages
- 616
- Keywords
- 20. Jahrhundert, Österreich, Südtirol, Italien, Geschichte
- Categories
- Geschichte Nach 1918