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Maddalena Guiotto
te liefen im Sommer 1917 aus und während des Krieges war die Abhaltung
von Wahlen undenkbar. Einer der ersten Gesetzesentwürfe wurde am 27. Juni
im Parlament verabschiedet. Es handelte sich dabei um die Verlängerung der
Gesetzgebungsperiode bis Ende 1918. Doch der Reichsrat war nicht in der
Lage, die Niederlage und den Zusammenbruch der Monarchie zu verhindern
und aus den Debatten gingen nicht einmal wertvolle Anregungen für eine
Reform hervor. Nichtsdestotrotz bot er das lebendige Bild eines wechselseiti-
gen Spiels der Parteien zwischen Exekutive und Legislative, das diese positiv
von vielen der vorangegangenen Sessionen unterschied. Im Schatten revolu-
tionärer Ereignisse fand eine konventionelle Parlamentssession ohne jegliche
Obstruktionsdrohung statt68.
Da sich die Reihen im Parlament gelichtet hatten und beinahe zehn
Prozent der Sitze leer blieben, nahm die Arbeit für De Gasperi in den ver-
schiedenen Ausschüssen zu. Er arbeitete im Budgetausschuss und war stell-
vertretendes Mitglied des Ausschusses für Ernährung, Unterhaltsbeiträge,
Kriegswirtschaft und Verträge. In den Presseausschuss wurde er wiederge-
wählt und er war vor allem ein aktives Mitglied des neu eingerichteten Zen-
tralausschusses für Flüchtlinge69. Bereits im Sommer 1915 war De Gasperi
nach Wien gezogen, wo er als Delegierter des Hilfskomitees für die Flücht-
linge aus dem Süden tätig war, das unter dem Vorsitz des ehemaligen Minis-
terpräsidenten Baron von Beck stand. In dieser Funktion reiste De Gasperi
u.a. nach Westböhmen, wohin ganze Dörfer des Trentino deportiert worden
waren70.
Durch Interpellationen und Reden im Abgeordnetenhaus kritisierte
De Gasperi die Behandlung der Italiener durch den österreichischen Staat
scharf. Man bezichtigte sie der Spionage und der Kollaboration, zu Tausen-
den wurden sie deportiert und mussten in Flüchtlingslagern leben. Am 12.
Juli 1917 ergriff er das Wort als Generalredner bei einer Debatte der Kammer
zu einem Gesetzesentwurf, mit dem die Flüchtlingshilfe institutionalisiert
und die Rechte der Flüchtlinge gegenüber dem Staat geregelt werden sollten.
68 Höbelt, Parteien und Fraktionen 999.
69 Wien, Parlamentsarchiv, Abgeordnetenhaus des Reichsrates, Materie 34, Ausschuss-
protokolle.
70 Ausführlicher: Maddalena Guiotto, Alcide De Gasperi e la Grande guerra: i profughi
austro-italiani, in: Quaderni degasperiani per la storia dell’Italia contemporanea 6 (2016)
17–59.
Die schwierige Versöhnung
Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Title
- Die schwierige Versöhnung
- Subtitle
- Italien, Österreich und Südtirol im 20. Jahrhundert
- Authors
- Andrea Di Michele
- Andreas Gottsmann
- Luciano Monzali
- Editor
- Karlo Ruzicic-Kessler
- Publisher
- Bozen-Bolzano University Press
- Location
- Bozen
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY-SA 4.0
- ISBN
- 978-88-6046-173-5
- Size
- 16.0 x 23.0 cm
- Pages
- 616
- Keywords
- 20. Jahrhundert, Österreich, Südtirol, Italien, Geschichte
- Categories
- Geschichte Nach 1918