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anderen landesfürstlichen Städten und Märkten im Land unter der Enns auch, große
wirtschaftliche Veränderungen. Alle Grundstücke, der Wein- und Körnerzehent sollten
verpachtet, das Spitalvieh verkauft und das Spitalgeld krisensicher angelegt werden. Die
Naturalverpflegung der Spitalinsassen wurde zugunsten einer täglichen „Geldportion“
aufgelöst (7 xr. pro Tag). Das Gehalt des Spitalmeisters, der bislang 100 fl. jährlich er-
halten hatte, wurde auf 40 fl. herabgesetzt; der Superintendent sollte sein Amt dagegen
gratis versehen. Die Spitalmeierei sollte verpachtet werden, somit konnte das Gehalt der
Meiersleute (Meier 26 fl., Meierin 8 fl., Magd 8 fl.) eingespart werden. Das Spital, das
bislang jährlich 60 fl. an das Siechenhaus abgegeben hatte, unterstützte die Armen nicht
mehr, weil diese aus der jeweils freitags stattfindenden Kollekte einen Zuschuss erhiel-
ten. In diesem Kontext entstanden auch die Spitalregeln von 1756 (Edition Nr. 127, S.
887–889), die einerseits den katholischen Glauben als Voraussetzung festlegten und das
Gebetsregime im „geistlichen Haus“ fixierten10. Der Spitalmeister sollte seine Arbeit aus
christlicher Nächstenliebe gratis versehen; aufgrund der großen Arbeitsbelastung wurde
in der Ratssitzung vom 10. Jänner 1774 beschlossen, eine Besoldung von 40 fl. zu bewil-
ligen. Die Instruktion vom 30. Dezember 1775 (Edition Nr. 128, S. 889–891) definiert
genau seine Pflichten, auch der Hausverwalter (1840er Jahre11, Edition Nr. 130) und
der Stadtarzt (Edition Nr. 129, S. 891f.) wurden in die Verschriftlichung der Pflichten
einbezogen. Der Großbrand vom 14. Februar 1833 zerstörte neben 38 Häusern und vier
Wirtschaftsgebäuden auch das Gebäude des Bürgerspitals, das 1835 vom bürgerlichen
Maurermeister Joseph Schwerdfeger neu errichtet wurde (Kostenpunkt 16.800 fl.)12.
Vor dem Wilhelmsburger Tor (heute Europaplatz) bestand neben dem städtischen
Spital ein 1324 („prope leprosos“) erwähntes „Sundersiechenhaus“13, das für die Auf-
nahme von Leprosen bestimmt war und sich im Spätmittelalter als Versorgungshaus
für die unterbürgerlichen Schichten, für das städtische Dienstpersonal und für die Ar-
men etablierte. Der Name „Sundersiechen“ verschwindet ab etwa 1500 aus den Quel-
len, Vergabungen erfolgten ab dann meist „Zue Unser Frawen bey den armen leytten“
bzw. „den armen leutten zue Unser Frawen vor Wilhalmbspurgerthor“. Abbrucharbeiten
1531/1532, die nicht zwingend mit dem Osmaneneinfall von 1529 in Verbindung stehen
müssen, dienten nach den Plänen des Stadtrates dazu, das Siechenhaus vor der Stadt ganz
abzubauen. Ab den 1560er Jahren findet das von zwei Siechenvätern verwaltete Siechen-
haus vor der Stadt aber in den Testamenten erneut Erwähnung14. Schon die Infektions-
ordnung von 1551 sieht aber vor, die Bettler nicht in die Stadt zu lassen, sondern in das
Siechenhaus vor dem Wilhelmsburger Tor zu schaffen. Nach einer erneuten Devastierung
1683 errichtete man das Siechenhaus durch eine Almosensammlung (Kosten des Wieder-
aufbaues 600 fl., Ratsbeschluss 8. Oktober 1683) erneut. Im Jahr 1732 ordnete der Stadt-
rat an, einen Kotter (Gefängnis) im Siechenhaus für „insolente“ Bewohner einrichten zu
10 Die Spitalregeln erscheinen davor schon in einzelnen Anordnungen des Stadtrates vormodelliert,
etwa 1731 wird festgelegt, dass alle Spitalinsassen bei jedem Begräbnis mitzugehen hatten, Schönfellner-
Lechner, Krems und St. Pölten 338.
11 Herrmann, Geschichte St. Pöltens II, 241. Johann Hielber (Weißgerber) und Karl Neidlinger tau-
chen im Bürgerkorps von 1848 auf. Bei Joseph Hassack handelt es sich vermutlich um einen Verwandten des
späteren St. Pöltner Bürgermeisters August Hassack (Apotheker, Bürgermeister 1850–1859).
12 Karl–Brückler, Kunstdenkmäler der Stadt St. Pölten 249–251.
13 Helleiner, Zur Geschichte 10f.; auch zum Folgenden.
14 Gutkas–Lenk, St. Pölten 52 nennt 1561 als Wiederaufbaudatum (?); zu den Siechenvätern Hüb-
ner, Studien 37.
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Spital als Lebensform
Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Spital als Lebensform
- Subtitle
- Österreichische Spitalordnungen und Spitalinstruktionen der Neuzeit
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Scheutz
- Alfred Stefan Weiß
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2015
- Language
- German
- License
- CC BY-NC 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79639-8
- Size
- 17.5 x 24.7 cm
- Pages
- 432
- Category
- Medizin