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Kenntniß zu nehmen pflegten. Diese Thatsache ist allen deutschen
Geschichtsforschern wohl eben so gut, wie mir selbst bekannt; und
sollte sie ja noch von Jemanden in Zweifel gezogen werden, so bin
ich erbietig, sie seiner Zeit bis zur Evidenz sicher zu stellen. Selbst
bei der vollen Annahme, daß die böhmische Krone jemals im
Lehensverbande zu Deutschland gestanden (was übrigens von
böhmischen Publicisten von jeher bestritten wird), kann es
keinem Oeschichtslundigen einfallen, die ehemalige Souverainitiit
und Autonomie Böhmes nach Innen in Zweifel zu ziehen. Alle
Welt weiß es, daß die deutschen Kaiser, als solche, mit dem böhmi-
schen Volle von jeher nicht das Mindeste zu thun und zu schaffen
gehabt haben; daß ihnen in und über Böhmen weder die gesetz-
gebende, noch die richterliche oder vollziehende Gewalt zukam; daß
sie weder Truppen noch irgend Regalien aus dem Lande jemals
zu beziehen hatten; daß Böhmen mit seinen Kronländern zu keinem
der ehemaligen zehn deutschen Kreise gezählt wurde, die Competenz
des Reichskammcrgerichts sich niemals über dasselbe erstreckte usw.;
daß somit die ganze bisherige Verbindung Böhmens mit Deutsch-
land als ein Verhältniß, nicht von Volk zu Voll, sondern nur von
Herrscher zu Herrscher aufgefaßt und angesehen werden muß. For-
dert man aber, daß über den bisherigen Fürstenbund hinaus nun-
mehr das Volk von Böhmen selbst mit dem deutschen Volke sich
verbinde, so ist das eine wenigstens neue und jeder historischen
Rechts-Basis ermangelnde Zumuthung, der ich für meine Person
mich nicht berechtigt fühle, Folge zu geben, so lange ich dazu lein
ausdrückliches und vollgiltiges Mandat erhalte.
Der zweite Grund, der mir verbietet, an Ihren Berathungen
Thell zu nehmen, ist der Umstand, daß nach Allem, was über
Ihre Zwecke und Ansichten bisher öffentlich verlautet hat, Sie
nothwendiger Weise darauf ausgehen wollen und werden, Öster-
reich als felbststündigen Kaiserstaat unheilbar zu schwächen, ja ihn
unmöglich zu machen, — einen Staat, dessen Erhaltung, Inte-
grität und Kräftigung eine hohe und wichtige Angelegenheit nicht
meines Volkes allein, sondern ganz Europa's, ja der Humanität
und Civilisation selbst ist und sein muß. Schenken Sie mir auch
darüber ein kurzes und geneigtes Gehör.
Pal» clh: Österreich'« Staatsidee. 6
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Österreichs Staatsidee
- Title
- Österreichs Staatsidee
- Author
- Franz Palacký
- Publisher
- I. L. Kober Verlag
- Location
- Prag
- Date
- 1866
- Language
- German
- License
- PD
- Size
- 14.7 x 21.5 cm
- Pages
- 110
- Categories
- Geschichte Vor 1918