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Einleitung 13
einem Besuch des Wiener Zoos, auf „Wildentenjagd in der Freizeit“, beim
Schachspielen zur „geistigen Entspannung“ oder im Leseraum in einer sow-
jetischen Kaserne.6 Öffentlich zelebriert und propagandistisch verwertet wur-
den weiters die zahllosen Kranzniederlegungen und Ehrenformationen an
den Gräbern österreichischer Komponisten, die nicht nur die Hochachtung
gegenüber der österreichischen Musik und Kultur unterstreichen, sondern
auch die unter den Österreichern weitverbreiteten Vorurteile gegenüber der
„sowjetischen Barbarei“ entkräften sollten.7
Während die österreichische Sichtweise von Besatzung und Besatzern so-
wie der österreichische Alltag in der sowjetischen Besatzungszone gut aufgear-
beitet sind, stehen Forschungen zu den individuellen Erlebnissen, Eindrücken
und Verarbeitungsformen der Besatzungsangehörigen selbst bisher weitestge-
hend aus. Die tägliche Arbeit, das Alltagsleben in den Kasernen oder die Frei-
zeitgestaltung sind gleichfalls nur am Rande und aus österreichischer Perspek-
tive bearbeitet worden. Auch im Rahmen der in jüngster Zeit durchgeführten
österreichisch-russischen Forschungsprojekte zu verschiedenen Aspekten der
Besatzung Österreichs ist gerade die Mikrogeschichte fast völlig außer Acht
gelassen worden. Die mentale Disposition sowjetischer Militärangehöriger,
ihre Erfahrung und die Wahrnehmung des Fremden sind ebenso wenig be-
kannt wie das Bild, das sie von Österreich hatten, eventuell revidierten und in
ihre Heimat transportierten. Zudem blieben die laufende politisch-moralische
Schulung, die diversen Formen der Disziplinierung sowie die Vergeltung von
Straftaten innerhalb der Armee – nicht zuletzt aufgrund fehlender Dokumen-
te – in der bisherigen Forschung ausgeklammert. Die Erfahrungen weiblicher
sowjetischer Angehöriger der Streitkräfte8 oder der Offiziersfamilien sowie die
retrospektive Aufarbeitung und Erinnerung an die Besatzungszeit in Öster-
reich aus sowjetischer Sicht waren ebenfalls kein Thema.
Hierbei stellt sich die Frage, inwieweit die Zeit in Österreich einen Kultur-
schock bewirkte und mit welchen Mitteln gegen die Gefahr „politisch-ideolo-
gischer Diversion“ vorgegangen wurde. Bedeutete es eventuell einen Nach-
teil für die weitere Karriere, im „Westen“ gelebt zu haben? Wie gestaltete sich
6 Die Rote Armee im Frieden, in: Österreichische Zeitung, 23.2.1946, S. 12.
7 Erich Klein (Hg.), Die Russen in Wien. Die Befreiung Österreichs. Wien 1945. Augenzeugenberichte
und über 400 unpublizierte Fotos aus Russland. Wien 1995, S. 173–176; Barbara Stelzl-Marx, Die
Macht der Bilder: Sowjetische Plakate in Österreich 1945–1955, in: Ingrid Bauer – Helga Embacher
– Ernst Hanisch – Albert Lichtblau – Gerald Sprengnagel (Hg.), Kunst. Kommunikation. Macht.
Sechster Österreichischer Zeitgeschichtetag 2003. Unter Mitarbeit von Peter Gutschner und Karoli-
ne Bankosegger. Innsbruck – Wien – München – Bozen 2004, S. 63–72, hier: S. 69f.
8 Einen wichtigen Einblick in das Thema liefert: Peter Jahn (Hg.), Mascha + Nina + Katjuscha. Frauen
in der Roten Armee 1941–1945. Maša + Nina + Katjuša. Zenščiny-voennoslužaščie. Mit einem Bei-
trag von Swetlana Alexijewitsch. Leipzig 2002.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918