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1. Vom „Anschluss“ bis zur Moskauer Deklaration 35
gegenüber dem britischen Außenminister Anthony Eden offiziell, dass Ös-
terreich als unabhängiger Staat wiederhergestellt werden sollte, womit er
eine Vorreiterrolle einnahm. Es sei „absolut notwendig“, so Stalin in diesem
Zusammenhang, „Deutschland zu schwächen“.12 Wenngleich Stalin primär
die Intention einer nachhaltigen Schwächung Deutschlands – nicht zuletzt
durch die Abtrennung Österreichs – verfolgte, zog sich doch seit dieser Phase
des Zweiten Weltkrieges das erklärte Ziel einer Wiederherstellung des öster-
reichischen Staates wie ein roter Faden durch die Österreichplanungen der
obersten sowjetischen Führung. Eden, der gegenüber den meisten Vorstellun-
gen der sowjetischen Führung über die Zukunft Europas bei den Gesprächen
in Moskau im Dezember 1941 eine ausweichende Position einnahm, ging be-
züglich der österreichischen Frage mit Stalin konform: „Die britische Regie-
rung tritt unter allen Umständen für die Unabhängigkeit Österreichs ein.“13
Allerdings vertraten die Westmächte bis zur vom 19. bis zum 30. Okto-
ber 1943 abgehaltenen Moskauer Konferenz der Außenminister Großbritan-
niens, der UdSSR und der USA unterschiedliche Positionen zum künftigen
Status Österreichs. Besonders verbreitet waren Pläne zu einer Vereinigung
Österreichs mit Ungarn und der Tschechoslowakei bzw. mit den südlichen
Bundesländern Deutschlands in Form mehrerer angedachter „Föderationen“.
Das Projekt einer Donaukonföderation war ein Plan Winston Churchills, den
die britische Diplomatie einige Zeit bevorzugte. Dadurch sollte der sowje-
tische Einfluss in Mitteleuropa, den Churchill bereits während des Krieges
befürchtete, eingedämmt werden. Als Argument für die diversen Föderatio-
nen wurde die „Lebensunfähigkeit“ Österreichs als selbstständiger Staat ins
Treffen geführt.14
Am 29. September 1943 übermittelte der britische Botschafter in Moskau, Sir
Archibald Clark Kerr, Volkskommissar Molotov ein im Frühjahr 1943 verfass-
tes Memorandum über „Die Zukunft Österreichs“. Dessen Autor, der Berufs-
diplomat Geoffrey W. Harrison, untersuchte darin vier mögliche „Lösungen“
der österreichischen Frage und gab aufgrund seines Fazits folgende Empfeh-
12 AVP RF, F. 048, op. 48, p. 431, d. 10, S. 34–50, Aufzeichnung der Unterredungen bei den Begegnun-
gen von Stalin und Molotov mit Eden vom 16. bis 20. Dezember 1941. Abgedruckt in: Laufer – Ky-
nin, Die UdSSR und die deutsche Frage, Bd. 1, S. 19–30, hier: S. 21.
13 Filitov, Sowjetische Planungen zur Wiedererrichtung Österreichs, S. 27; Stefan Karner – Peter Rug-
genthaler, Stalin, Tito und die Österreich-Frage. Zur Österreichpolitik des Kreml im Kontext der
sow jetischen Jugoslawienpolitik 1945 bis 1949, in: Jahrbuch für Historische Kommunismusfor-
schung 2008, S. 81–105.
14 Aleksej Filitov, Die sowjetischen Planungen zu Österreich 1941–1945, in: Stefan Karner – Gottfried
Stangler (Hg.), „Österreich ist frei!“ Der Österreichische Staatsvertrag 1955. Beitragsband zur Aus-
stellung auf Schloss Schallaburg 2005. Unter Mitarbeit von Peter Fritz und Walter M. Iber. Horn
– Wien 2005, S. 5–8, hier: S. 5; Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 15f.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918