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1. Vom „Anschluss“ bis zur Moskauer Deklaration 37
Damit wurde im Außenkommissariat eine Planungsebene geschaffen, die
zwar Pläne ausarbeitete, an den laufenden Arbeiten des Kommissariats je-
doch nicht beteiligt war und ohne Klärung ihrer Rechte und Pflichten von
den Entscheidungen Stalins abhängig blieb. Umgekehrt erhielten die Mitar-
beiter der auch für Österreich zuständigen 3. Europäischen Abteilung über
den Verlauf der Arbeit dieser Kommissionen nur unvollständige Informatio-
nen.20 Im Endeffekt wurden wesentliche Vorentscheidungen zur sowjetischen
Nachkriegspolitik jenseits dieser Planungen auf anderer Ebene getroffen.21
Die „Litvinov-Kommission“ legte Anfang Oktober 1943 ein Papier „Zur
Frage des zukünftigen Staatsaufbaus“ Österreichs vor, worin gemahnt wurde,
„auf der Hut zu sein“, denn es sei sicher, „dass die Föderation mit einem sol-
chen Kern leicht gegen unsere Interessen benutzt werden könnte. Eine solche
Föderation wird ständig die Tschechoslowakei bedrohen, da die Mehrheit der
Mitglieder dieser Föderation (Ungarn, Österreich) territoriale Ansprüche auf
sie erhebt.“ Der Vorzug sei daher, hieß es weiters, „dem Entwurf der Wieder-
herstellung eines selbstständigen und unabhängigen Österreich zu geben“.22
Österreich rangierte bei der Planung der Moskauer Konferenz lediglich
als Klammerausdruck in einem von Briten und Amerikanern vorgeschla-
genen Tagesordnungspunkt über die „Behandlung Deutschlands und an-
derer Feindstaaten in Europa“. Zur Vorbereitung dieses Tagesordnungs-
punktes richtete Litvinov am 9. Oktober ein Memorandum an Molotov,
das einen eigenen Abschnitt über Österreich enthielt. Litvinov ging davon
aus, dass Eden „dem österreichischen Problem und der von ihm entwickel-
ten Variante einer Vereinigung Österreichs mit Ungarn offenbar besondere
Aufmerksamkeit schenken“ werde; allerdings würde sich aus dem von Kerr
vorgelegten Memorandum keineswegs die Notwendigkeit einer „derarti-
gen Verbindung“ ergeben. Zudem analysierte und bestätigte Litvinov die
wirtschaft liche Lebensfähigkeit Österreichs, die ja von den Gegnern eines
unabhängigen Staates Österreich angezweifelt und als Hauptargument ins
Treffen geführt wurde. Immerhin habe Österreich, so Litvinov, 20 Jahre lang
„ob recht oder schlecht“ eigenständig existiert, und seine Bevölkerung habe
„wohl kaum unter schlechteren Bedingungen gelebt als etwa die Bevölke-
rung der Nachbarn Österreichs auf dem Balkan“.23
20 Siehe dazu auch das Kapitel A.III.2.1 „Die 3. Europäische Abteilung“ in diesem Band.
21 Alexej Filitow, Stalins Deutschlandplanung und -politik während und nach dem Zweiten Welt-
krieg, in: Boris Meissner – Alfred Eisfeld (Hg.), 50 Jahre sowjetische und russische Deutschland-
politik sowie ihre Auswirkungen auf das gegenseitige Verhältnis. Berlin 1999, S. 43–54, hier: S. 45;
Laufer – Kynin, Die UdSSR und die deutsche Frage, Bd. 1, S. XL–L.
22 AVP RF, F. 0512, op. 4, p. 12, d. 2, S. 5–7. Zit. nach: Sokolov, Sowjetische Österreichpolitik, S. 76.
23 AVP RF, F. 0512, op. 4, p. 18, d. 121, S. 1–8, Aufzeichnungen von Litvinov zur „Behandlung
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918