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Verhandlungen zu den Besatzungszonen
Die ökonomischen Argumente basierten auf einer Landkarte Österreichs,
auf der die wichtigsten Industriestandorte verzeichnet waren und welche die
Hauptverwaltung für Aufklärung der Roten Armee kurze Zeit zuvor dem
Volkskommissariat für auswärtige Angelegenheiten übermittelt hatte. Aus
dieser ging hervor, „dass die wichtigsten Werke der Luftfahrt-, Eisen- und
Stahlindustrie wie auch die Kraftwerke in den Bezirken ‚Groß-Wiens‘ (wird
vierfach besetzt werden), in Linz, das am linken Donauufer liegt und (auch
unter Bedingung einer Annahme unserer ersten Abänderung des Entwurfes
von Strang) zur amerikanischen Besatzungszone gehören wird, und in der
Steiermark (Graz, Kapfenberg u. a.) angesiedelt sind“. Gemäß dem britischen
Entwurf stellte sich die britische Zone Österreichs „einschließlich der Steier-
mark und Kärntens als das in wirtschaftlicher Hinsicht reichste“ Gebiet dar.
Vyšinskij leitete das Memorandum zwar an Molotov weiter, allerdings ge-
lang es zu diesem Zeitpunkt nicht mehr, dadurch eine derart grundlegende
Haltungsänderung herbeizuführen. Die Westalliierten hätten einer solch be-
deutenden Änderung nicht zugestimmt.70
Der britische Plan vom 30. Jänner 1945 bildete die Grundlage der endgül-
tigen Zonenregelung – mit drei Ausnahmen:71 Gusev unterbreitete der EAC
am 4. April 1945 einen sowjetischen Abänderungsvorschlag, demzufolge
die Sowjetunion erstens das Mühlviertel, also den nördlich der Donau ge-
legenen Teil Oberösterreichs, sowie zweitens den in der NS-Zeit zur Steier-
mark geschlagenen Teil des Burgenlandes für sich beanspruchte, dafür aber
den Anspruch auf die Steiermark aufgab. Dadurch fielen die Südgrenze der
Tschechoslowakei und die gesamte Westgrenze Ungarns unter sowjetische
Kontrolle. Drittens wurde für Wien eine nicht näher definierte Aufteilung in
vier Zonen auf Basis der Grenzen vom 31. Dezember 1937 vorgeschlagen. Da-
für akzeptierte die sowjetische Seite sowohl das Grundschema der Zonenver-
teilung als auch die französische Beteiligung an der Besatzung. Im Gegenzug
erklärten die Briten inoffiziell ihre Bereitschaft, das Südburgenland an die
Sowjets abzutreten. Und schließlich stimmten die US-Vertreter am 15. April
1945 ebenfalls inoffiziell der Abtretung des Mühlviertels zu.72
70 AVP RF, F. 07, op. 10, p. 13, d. 159, S. 1–3, Smirnov an Vyšinskij. Vgl. Filitov, Die sowjetischen Pla-
nungen zu Österreich, S. 8; Oliver Rathkolb, Historische Fragmente und die „unendliche Geschich-
te“ von den sowjetischen Absichten in Österreich 1945, in: Alfred Ableitinger – Siegfried Beer –
Eduard G. Staudinger (Hg.), Österreich unter alliierter Besatzung 1945–1955. Wien 1998, S. 137–158,
hier: S. 148f.
71 Siegfried Beer, Die anglo-amerikanischen Planungen zu Österreich 1939–1945, in: Stefan Karner –
Gottfried Stangler (Hg.), „Österreich ist frei!“ Der Österreichische Staatsvertrag 1955. Beitragsband
zur Ausstellung auf Schloss Schallaburg 2005. Unter Mitarbeit von Peter Fritz und Walter M. Iber.
Horn – Wien 2005.
72 Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik, S. 102f.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918