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II. Kriegsende in
Österreich68
Annexion Österreichs einen Akt von Staatsterror und militärischer Okkupati-
on dar. Andererseits hatte ein großer Teil der Bevölkerung den „Anschluss“
lange herbeigesehnt. Viele Österreicher nahmen verantwortungsvolle Po-
sitionen im NS-Regime ein und wurden selbst zu Tätern. Die Moskauer De-
klaration vom 1. November 1943 spiegelt diese zweideutige Position Öster-
reichs wider: Zwar wurde Österreich darin als erstes Opfer der „hitlerschen
Aggression“ bezeichnet, doch es beinhaltet auch den expliziten Hinweis der
Alliierten, dass Österreich „für seine Teilnahme am Kriege an der Seite Hitler-
deutschlands“ Verantwortung trage und dass es an seinem Beitrag zur Befrei-
ung gemessen werden würde. Diese Ambivalenz kam bei der Befreiung Ös-
terreichs zum Tragen. Die Soldaten der Roten Armee waren jahrelang darauf
gedrillt worden, den Kampf gegen „Hitlerdeutschland“ mit voller Härte zu
führen. Dies schloss natürlich auch Österreich als Teil des „Dritten Reiches“
ein. Auf der anderen Seite verlangte die militärische Führung nun von ihnen,
klar zwischen der Bevölkerung Österreichs und den „deutschen Besatzern“
zu unterscheiden, dabei Erstere zu verschonen, aber „erbarmungslos mit den
deutschen Unterjochern“ abzurechnen.
1.1 „Tod den deutschen Okkupanten!“: Entwicklung des Feindbildes
Stalin schwor bereits in seiner legendären Radioansprache vom 3. Juli 1941
die „Sowjetbürger“ darauf ein, den „Krieg gegen das faschistische Deutsch-
land […] nicht als gewöhnlichen Krieg“ zu betrachten. Es sei der Krieg des
ganzen sowjetischen Volkes gegen die „deutschen faschistischen Truppen“.4
Seine Rede enthielt aber auch eine zweite Kriegserklärung – neben dem
Faschismus sagte Stalin jenen den Kampf an, die die sowjetischen Vertei-
digungsbemühungen behinderten:5 Jegliche „Deserteure, Panikmacher,
Verbreiter von Gerüchten“ müssten bekämpft sowie „Spione, Diversanten,
feindliche Fallschirmspringer vernichtet“ werden.6
Für Millionen verstörter, erschrockener und fassungsloser Menschen
markierte diese erste Rede Stalins nach dem deutschen Überfall auf die Sow-
4 Der Text von Stalins Radioansprache vom 3. Juli 1941 findet sich unter anderem in: I. Stalin, O Ve-
likoj otečestvennoj vojne Sovetskogo Sojuza. 5. Aufl. Moskau 1950, S. 9–17. Vgl. Alexander Werth,
Russland im Krieg 1941–1945. Mit 21 Karten. München o. J., S. 134–137. Diese Rede Stalins wurde
nach Kriegsende unter anderem auch für die politische Arbeit unter der österreichischen Bevölke-
rung herangezogen. Vgl. RGASPI, F. 17, op. 128, d. 304, Bericht über die Tätigkeit der Propaganda-
abteilung der SČSK im Juli 1947, 18.8.1947.
5 Richard Overy, Russlands Krieg 1941–1945. Aus dem Englischen von Hainer Kober. Hamburg 2003,
S. 135.
6 Stalin, O Velikoj otečestvennoj vojne, S. 15.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918