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1. Der Wandel des Feindbildes: sowjetische Propaganda 69
jetunion am 22. Juni 1941 den Beginn eines patriotischen Kampfes.7 Fortan
trugen die Soldatenzeitungen der Roten Armee und die sowjetischen Tages-
zeitungen den Aufruf „Tod den deutschen Okkupanten!“ anstelle der Losung
„Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“.8 Die bisherige Devise der „proleta-
rischen Brüderlichkeit“ mit den Deutschen ersetzte somit die Maxime „Töte
den Deutschen“.9 In den zentralen Zeitungen wurden eigene Rubriken einge-
führt, die zur Rache an den „deutsch-faschistischen Okkupanten“ aufriefen.
Der Krieg selbst wurde in Anlehnung an den Krieg gegen Napoleon 1812 als
„Der Große Vaterländische Krieg“ („Velikaja otečestvennaja vojna“) bezeich-
net. „Für die Heimat, für die Ehre, für die Freiheit“, zog der Volkskommissar
für Äußeres und stellvertretende Vorsitzende der sowjetischen Regierung,
Vjačeslav M. Molotov, in der ersten offiziellen Ansprache an die Bevölkerung
am 22. Juni 1941 die Parallele zu den Ereignissen von 1812. Der Führung war
klar, dass sie umgehend sämtliche Kräfte mobilisieren musste.10
Das Bild des Feindes unterlag im Verlauf der militärischen Handlungen
mehreren Veränderungen und Konkretisierungen. Inhalte und Attribute des
Feindbildes in der sowjetischen Propaganda11 hingen von der jeweiligen Pha-
se des Krieges und deren Aufgabenstellung ab. Generell dient das im Kriegs-
zustand propagierte Feindbild dazu, die eigene Front zu einen, die nationale
Identität zu stärken sowie aggressives Verhalten gegenüber dem Feind zu le-
gitimieren.12 Sowohl die Propaganda „von oben“ als auch die individuellen
7 Catherine Merridale, Iwans Krieg. Die Rote Armee 1939 bis 1945. Aus dem Englischen von Hans
Günter Holl. Frankfurt am Main 2006, S. 115.
8 Ju. A. Poljakov, Istoki narodnogo podviga, in: V. A. Zolotarev – G. N. Sevosťjanov (Hg.), Narod i
vojna. Velikaja otečestvennaja vojna 1941–1945. Bd. 4. Moskau 1999, S. 9–25, hier: S. 16f.
9 Michail Semirjaga, Die Rote Armee in Deutschland im Jahre 1945, in: Peter Jahn – Reinhard Rürup
(Hg.), Erobern und Vernichten. Der Krieg gegen die Sowjetunion 1941–1945. Essays. Berlin 1991, S.
200–210, hier: S. 202.
10 E. S. Senjavskaja, Protivniki Rossii v vojnach XX veka. Ėvoljucija „obraza vraga“ v soznanii armii i
obščestva. Serija „Čelovek i vojna”. Moskau 2006, S. 80.
11 Die kommunistische Theorie unterscheidet zwischen Agitation und Propaganda: Die Agitation soll
die großen Massen etwa über „Kampagnen“ zu direkten, speziellen Aktionen aufrufen. Sie ist für
die Führung der breiten Massen gedacht. Die Propaganda hingegen wendet sich an einen kleineren,
politisch aktiven Kreis und soll systematisch alle Elemente der kommunistischen Weltanschauung
erläutern. Propaganda zielte demnach auf die Ausbildung der kommunistischen Kader und der
Sowjetintelligenz ab. Propagandisten erklären dieser Definition nach „viele Ideen einer [Person]
oder wenigen Personen“; Agitatoren werben für eine oder wenige Ideen, aber vor einer Volksmas-
se. Diese strikte Unterscheidung weicht vom allgemeinen Sprachgebrauch im Westen ab, wo unter
dem Begriff „Propaganda“ alle Mittel der politischen Werbung ohne eine Differenzierung zwischen
Propaganda und Agitation subsumiert werden. Vgl. Bruno Kalnins, Agitprop. Die Propaganda in
der Sowjetunion. Wien 1966, S. 17–19. Zum Feindbild in der sowjetischen Propaganda vgl. A. V.
Fateev, Obraz vraga v sovetskoj propagande 1945–1954 gg. Moskau 1999.
12 Tiina Lintunen, Images of Woman Enemies, in: Imagology and Cross-Cultural Encounters in Histo-
ry. Studia Historica Septenrionalia 56. Rovaniemi 2008, S. 249–258, hier: S. 249.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918