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II. Kriegsende in
Österreich80
heimatliche Erde. Versäume es nicht. Töte!“53 Mit einer ähnlichen Botschaft
schloss sein Pamphlet „Über den Hass“ vom 5. Mai 1942: „Russland wird
leben, die Faschisten werden nicht leben!“54
Bis heute trifft Ėrenburg der Vorwurf, auch zur Rache an der Zivilbevöl-
kerung aufgerufen und dabei die Vergewaltigung deutscher Frauen dezi-
diert als geeignetes Mittel angeführt zu haben. Als scheinbarer Beweis gilt
der Ausschnitt eines Flugblattes: „Es gibt nichts, was an den Deutschen
unschuldig ist, die Lebenden nicht und die Toten nicht! Folgt der Weisung
des Genossen Stalin und zerstampft für immer das faschistische Tier in sei-
ner Höhle. Brecht mit Gewalt den Rassehochmut der germanischen Frauen!
Nehmt sie als rechtmäßige Beute!“55 Ėrenburg, und mit ihm andere Propa-
gandisten, haben die Autorenschaft dieser Zeilen jedoch stets bestritten. Für
eine bewusste Fälschung spricht auch der Umstand, dass das Original bisher
nicht auffindbar war.56
Ėrenburg selbst bezog bereits im November 1944 zu diesem Vorwurf Stel-
lung und erwiderte: „Uns zieht nicht Gretchen an, sondern jene Fritzen, die
unseren Frauen Kränkungen zugefügt haben, und wir sagen geradeheraus,
dass diese Deutschen keine Gnade zu erwarten haben. Was die deutschen
Frauen betrifft, so erwecken sie bei uns nur ein Gefühl: Ekel.“57 Ein ähnliches
Bild hatte er bereits zwei Jahre zuvor in seinem Text „Gretchen“ entworfen:
„Frau – das ist ein großes Wort. In ihm liegen: Zärtlichkeit und Stolz, die
Reinheit des Mädchens, die Selbstlosigkeit der Freundin, die Heldentat der
Mutter. Kann man diese ekelerregenden Weibchen Frauen nennen? Ist Frau
Schmidt mit ihren 160 Paketen eine Frau? Nein, sie ist ein Luder. Das ist die
Strafe der Geschichte: Im von der Armee der Henker, der Armee der Diebe
geschaffenen Deutschland gibt es die erhöhte, edle Frau nicht mehr, die auf
den Freund wartet, der für die Freiheit kämpft.“58
Das vermeintlich von Ėrenburg verfasste Flugblatt fügt sich mit seiner
Aussage zudem kaum in die generelle sowjetische Propagandalinie. Auch die
folgende Äußerung des Stalinpreisträgers spricht gegen seine Autorenschaft:
„Der sowjetische Soldat wird keine Frau belästigen. Der sowjetische Soldat
wird keine Frau misshandeln, noch wird er irgendeine intime Beziehung mit
53 Il’ja Ėrenburg, Vojna. (Aprel’ 1942 g. – mart 1943 g.). Moskau 1943, S. 22f. Herrn Univ.-Prof. Dr.
Stefan Karner, Graz, danke ich herzlich für die Bereitstellung der Originalausgabe dieses Bandes.
54 Ėrenburg, Vojna. (Ijun’ 1941 – aprel’ 1942), S. 185.
55 Zit. nach: Anna Kientopf, Das friedensfeindliche Trauma. Die Rote Armee in Deutschland 1945.
Lindhorst 1984, S. 118f.
56 Tischler, Die Vereinfachung des Genossen Ėrenburg, S. 333.
57 Progulki po Friclandija, in: Krasnaja Zvezda, 25.11.1944. Zit. nach: ebd.
58 Ėrenburg, Vojna (Aprel’ 1942 – mart 1943), S. 54. Der Text „Gretchen“ stammt vom 13. November
1942.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918