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II. Kriegsende in
Österreich84
de ich mich an den Deutschen rächen“, schwor ein Rotarmist bei der Befrei-
ung der Internierten eines deutschen Kriegsgefangenenlagers auf einem der
Plakate von Viktor B. Koreckij.76
1.2 „Man kann nicht zwei Hasen gleichzeitig fangen“:
Propaganda zu Kriegsende
Parallel zu dieser Kampfrhetorik setzte während der letzten Kriegsphase eine
Akzentverschiebung in der sowjetischen Propaganda ein. Bis zu diesem Zeit-
punkt waren die Rotarmisten nur mit deutschen Soldaten, nicht mit der Zivil-
bevölkerung in Kontakt gekommen. 1944/1945 stellte sich die Situation an-
ders dar. Im Oktober 1944 betraten erstmals Truppen der 3. Weißrussischen
Front in Ostpreußen deutschen Boden und ließen sich vom Gefühl der Rache
hinreißen. Zudem hatten sie die im Feindesland vorgefundene „westliche“
Zivilisation und der Wohlstand der Bevölkerung in eine tiefe Sinnkrise ge-
stürzt. Ihre eigene Heimat lag in Trümmern und hatte sich nach Jahrzehnten
nur mühselig aus der „Finsternis“ einer Agrargesellschaft befreit, während
das verhasste Feindesland selbst nach einem verheerenden Krieg im zivili-
satorischen Glanz erstrahlte. Der Gedanke, dass die Deutschen, deren Le-
bensstandard so hoch war, in ihr Land eingefallen waren und es verwüstet
hatten, machte viele wütend. Als Folge verweigerten ganze Einheiten den
Vormarschbefehl. Die Offiziere waren nicht in der Lage, das massenhafte Ma-
rodieren unter Kontrolle zu bringen.77
Partei- und Armeeführung erkannten, dass weder die Bevölkerung „ab-
geschlachtet“ noch die Phase nach Kriegsende und die damit verbundenen
administrativen und politischen Maßnahmen vergessen werden durften. Sie
ließen die Maßnahmen zur Wiederherstellung der Disziplin und der Kampf-
bereitschaft der Truppe verschärfen. General Nikolaj E. Berzarin,78 dessen 5.
Stoßarmee im Februar 1945 an der Oder stand, sagte in diesem Zusammen-
hang zu seinem Stab: „Man kann nicht zwei Hasen gleichzeitig fangen – rä-
76 Barbara Stelzl-Marx, Der Krieg der Bilder: Plakate der sowjetischen Regierungsverwaltung 1944–
1945, in: Harald Knoll – Peter Ruggenthaler – Barbara Stelzl-Marx (Hg.), Konflikte und Kriege im
20. Jahrhundert. Aspekte ihrer Folgen. Veröffentlichungen des Ludwig Boltzmann-Instituts für
Kriegsfolgen-Forschung. Sonder-Bd. 3. Graz – Wien – Klagenfurt 2002, S. 317–334, hier: S. 325–327.
77 Peter Gosztony, Die Rote Armee. Geschichte und Aufbau der sowjetischen Streitkräfte seit 1917.
Wien – München – Zürich – New York 1980, S. 272; Silke Satjukow, Der Mythos der „Befreiung“
zwischen Propaganda und Alltag. Bestattungsusancen der Sowjetischen Streitkräfte auf dem Terri-
torium der DDR, in: Horch und Guck. 2006/4, S. 25–29, hier: S. 26; Antony Beevor, Berlin 1945. Das
Ende. Aus dem Englischen übertragen von Frank Wolf. München 2002, S. 47.
78 Nikolaj Berzarin (1904–1945) war der erste Stadtkommandant Berlins. Vgl. Peter Jahn (Hg.), Bersa-
rin Nikolaj Generaloberst Stadtkommandant (Berlin). Berlin 1999.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918