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II. Kriegsende in
Österreich90
gen die deutschen Besatzer und nicht gegen die Bevölkerung Österreichs“
kämpfe.95
Auch die „verleumderische“ NS-Propaganda kam dabei offen zur Spra-
che: Die Nationalsozialisten hätten „alle möglichen Lügengeschichten“ über
die Rote Armee verbreitet und die Bevölkerung Österreichs durch „erfun-
dene Hirngespinste über Verwüstungen, Gräuel- und Untaten“ verängstigt,
welche beim Eintreffen der Roten Armee Platz greifen würden. Geradezu
beschwörend richteten sich die Befehle an die „Genossen Rotarmisten, Un-
teroffiziere, Offiziere und Generäle“: „Ihr wisst, dass dies eine Lüge ist! Die
Rote Armee macht einen Unterschied zwischen Österreichern und deutschen
Besatzern!“ 96
Die Argumentation ist dabei äußerst bemerkenswert: Nicht die Gräuelta-
ten selbst wurden in Abrede gestellt, vielmehr wurde betont, die Rote Armee
könne – oder müsse – zwischen Österreichern und Deutschen unterscheiden.
Während sie „erbarmungslos mit den deutschen Unterjochern abrechnet“,
sei dabei das „friedliche österreichische Volk“ zu verschonen. Was bei den
„deutschen Besatzern“ – zumindest vorerst – eventuell als Kriegsakt tolerier-
bar war, wurde nun gegenüber Österreichern klar untersagt.97
In diesem Zusammenhang erschien auch ein Hinweis auf die Disziplin
der Soldaten als notwendig, ohne dass dabei die Ausschreitungen explizit
zur Sprache kamen: „Seid stolze Träger des ruhmreichen Namens der Ro-
ten Armee. Die ganze Welt soll nicht nur die alles besiegende Stärke der
Roten Armee sehen, sondern auch den hohen Grad an Disziplin und Kul-
tur ihrer Soldaten. Möge euer Benehmen überall Achtung gegenüber der Ro-
ten Armee – der Befreierin – und gegenüber eurem machtvollen Vaterland
hervorrufen.“98 Allerdings bestand zwischen Theorie und Praxis der Befrei-
ung Österreichs durch die Rote Armee nicht selten eine erhebliche Diskre-
panz.
95 Aufruf des Militärrates an die Truppen der 3. Ukrainischen Front, 4.4.1945. Abgedruckt in: Karner
– Stelzl-Marx – Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dok. Nr. 9. Original abgedruckt in: I. N.
Zemskov et al. (Hg.), SSSR – Avstrija 1938 – 1979gg. Dokumenty i materialy. Moskau 1980, S. 16f.
Der Militärrat der 2. Ukrainischen Front richtete sich ebenfalls am 4. April 1945 mit einem analogen
Befehl an die Truppen der 2. Ukrainischen Front. Vgl. Institut Voennoj Istorii, Krasnaja Armija v
stranach Central’noj Evropy, S. 617.
96 Ebd.
97 Am 20. April 1945 erließ die Stavka des Oberkommandos den Befehl Nr. 11072 an die Oberkom-
mandierenden der 1. und 2. Weißrussischen und 1. Ukrainischen Front, worin von den Truppen
eine bessere Behandlung der deutschen Bevölkerung und der Kriegsgefangenen gefordert wurde.
Die grausame Behandlung der Deutschen habe zu Angst und Widerstand geführt. Vgl. CAMO, F.
148a, op. 3763, d. 212, S. 13. Abgedruckt in: Institut Voennoj Istorii, Stavka VGK, S. 229.
98 Tagesbefehl des Militärrates an die Truppen der 3. Ukrainischen Front, 4.4.1945. Abgedruckt in:
Karner – Stelzl-Marx – Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dok. Nr. 9.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918