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II. Kriegsende in
Österreich94
Parallel dazu gab die Politverwaltung der 3. Ukrainischen Front Flugblät-
ter heraus, die sie hinter der Front abwerfen ließ. Diese enthielten gleichfalls
Aufrufe an die österreichischen Soldaten, sich in Gefangenschaft zu begeben
oder zur Roten Armee überzulaufen. Die Bevölkerung forderte man dazu
auf, den Kampf gegen das NS-Regime zu verstärken. Ein Beispiel dafür ist
das Flugblatt „Österreichische Soldaten, Hitler ist Euer Feind!“, worin es
hieß: „Soldaten aus Österreich! Warum kämpft Ihr gegen die Rote Armee,
gegen den russischen Arbeiter- und Bauernstaat? Hitler ist Euer Feind, nicht
die Sowjetunion. Er hat Euer friedliches Land überfallen. Er hat aus Öster-
reich alle Lebensmittel, alle Waren und Vorräte weggeschleppt. Und was hat
er Euch dafür gebracht? Den Krieg, die Kartenwirtschaft und die preußischen
Kommissare.“112
Trotz dieser regen Aktivitäten fand Smirnov auch mehrere Mängel und
lieferte in seinem internen NKID-Bericht zugleich Vorschläge zu deren Besei-
tigung: Zunächst konstatierte Smirnov, dass die generelle Ausrichtung der
sowjetischen und der westalliierten Propaganda stark differierte. Während
die Sowjets die Österreicher zum offenen Kampf gegen das NS-Regime auf-
riefen, unterstützten die Westalliierten versteckte Widerstandshandlungen.
Weiters suggerierte die sowjetische Propaganda, die Sowjetunion und die
Rote Armee würden Österreich die Unabhängigkeit bringen. Im Gegensatz
dazu ließen die Westalliierten verbreiten, dass ausschließlich Großbritannien
und die USA die Zukunft Österreichs verteidigen würden. Im Vergleich zur
Propaganda der Westalliierten erschien die sowjetische Propaganda in Smir-
novs Augen zu wenig konkret und differenziert. Er kritisierte, dass etwa das
Allunions-Radiokomitee keine Sendungen für die Bewohner einzelner Städ-
te oder Bundesländer vorbereiten und auch nicht auf die unterschiedlichen
Bevölkerungsschichten eingehen würde. Zudem würden Informationen über
die Lage in Österreich fehlen, weswegen es nicht auf aktuelle Ereignisse re-
agieren könne. Daher, so sein Vorschlag, müssten „rechtzeitig Anweisungen
zur Behandlung wichtiger aktueller Fragen“ gegeben und die Materialien so-
wohl auf die innere Situation des Landes als auch auf die einzelnen Schichten
sowie Gebiete abgestimmt werden. Dekanozov vermerkte dazu am 28. März
1945: „Einverstanden, aber man muss den Vorschlag konkretisieren (wer was
zu tun hat).“113
Günter Bischof – Stefan Karner – Barbara Stelzl-Marx (Hg.), Kriegsgefangene des Zweiten Weltkrie-
ges. Gefangennahme – Lagerleben – Rückkehr. Wien – München 2005, S. 152–166.
112 Faksimile abgedruckt in: Lev Belousov – Aleksandr Vatlin, Propusk v raj. Sverchoružie poslednej
mirovoj. Duėl propagandistov na Vostočnom fronte. Moskau 2007, S. 228.
113 AVP RF, F. 06, op. 7, p. 32, d. 326, S. 14–21, Bericht von Smirnov und Chošev an Dekanozov über die
sowjetische und westalliierte Propaganda für Österreich, [März 1945].
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918