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1. Der Wandel des Feindbildes: sowjetische Propaganda 95
1.4.1 „An die Bevölkerung Österreichs“ und „Bürger von Wien“
Wenig später arbeitete die 3. Europäische Abteilung des NKID die genannten
„Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Vormarsch der Roten Armee auf
das Gebiet Österreichs“ aus und verlangte darin dezidiert die „Herausgabe
eines Aufrufs an das österreichische Volk“.114 Anfang April 1945 richteten die
Oberbefehlshaber der 2. und 3. Ukrainischen Front ihre Proklamationen „An
die Bevölkerung Österreichs“ und an die „Bürger von Wien“. Diese Aufru-
fe wurden gemeinsam mit der „Erklärung der Sowjetregierung über Öster-
reich“ vom 9. April 1945 in Form von Plakaten und Anschlägen im eroberten
Gebiet bzw. als Flugblatt hinter den deutschen Linien verbreitet.115 Die Aufla-
ge der wichtigsten fünf Flugblätter betrug insgesamt etwa 150.000 Exempla-
re.116 Zusätzlich ließ die Rote Armee die Texte über Lautsprecher verlesen.117
Der Aufruf „An die Bevölkerung Österreichs“ sowie die „Erklärung der
Sowjetregierung“ erschienen außerdem in der erstmals am 15. April 1945 von
der Politverwaltung der 3. Ukrainischen Front für die österreichische Bevöl-
kerung herausgebrachten „Österreichischen Zeitung“,118 die auf Initiative der
Politischen Hauptverwaltung der Roten Armee und einer daraus resultieren-
den Verordnung des Sekretariats der VKP(b) vom 5. April ins Leben gerufen
wurde.119 Ihre Erstauflage belief sich auf 25.000 Exemplare.120
Die im NKID-Bericht dargelegten Grundzüge der sowjetischen Propagan-
da in Österreich kamen in diesen ersten Aufrufen klar zum Vorschein: So hob
der Militärrat der 3. Ukrainischen Front die Zerschlagung der „deutsch-fa-
114 AVP RF, F. 66, op. 23, p. 24, d. 8, S. 20f., Bericht der 3. Europäischen Abteilung des NKID „Über
Maßnahmen im Zusammenhang mit dem Vormarsch der Roten Armee auf das Gebiet Österreichs“,
spätestens am 2.4.1945. Abgedruckt in: Karner – Stelzl-Marx – Tschubarjan, Die Rote Armee in Ös-
terreich, Dok. Nr. 6.
115 Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik, S. 112.
116 Es erschienen 20 Flugblätter für die österreichische Bevölkerung mit einer Auflage von insgesamt
300.000 Exemplaren. Vgl. CAMO, F. 275, op. 356369s, d. 2, S. 256–268, hier: S. 257, Bericht von V.
Smirnov über die Arbeit unter der österreichischen Bevölkerung im Zeitraum vom 1. April bis 1.
August 1945, [August 1945].
117 CAMO, F. 243, op. 2914, d. 119, S. 165, 184–195, 200, Bericht der Politverwaltung der 3. Ukrainischen
Front an Ščerbakov über die Arbeit der Politorgane und den politisch-moralischen Zustand der
Truppen, nach dem 13.4.1945. Abgedruckt in: Institut Voennoj Istorii, Krasnaja Armija v stranach
Central’noj Evropy, S. 647–653.
118 Erklärung der Sowjetregierung über Österreich, in: Österreichische Zeitung, 15.4.1945, S. 1; F. Tol-
buchin, An die Bevölkerung Österreichs, in: Österreichische Zeitung, 15.4.1945, S. 1; vgl. Mueller,
Die sowjetische Besatzung, S. 96.
119 RGASPI, F. 17, op. 116, d. 209, S. 81, Beschluss Nr. 209 (390) des Sekretariats des ZK der VKP(b)
„Über die Herausgabe der ‚Österreichischen Zeitung‘“, 5.4.1945.
120 Ende April 1945 wurde die Auflage dieser ersten Nachkriegszeitung in Österreich auf 50.000 und
einen Monat später auf 150.000 Exemplare erhöht. Vgl. Mueller, Die sowjetische Besatzung, S. 96f.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918