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1. Der Wandel des Feindbildes: sowjetische Propaganda 99
Die „Sowjetregierung“ betonte auch hier den Befreiungscharakter der Ro-
ten Armee und ihre feste Verankerung in der Moskauer Deklaration. Nach
der Beseitigung des Regimes der „deutsch-faschistischen Okkupanten“ wer-
de die Sowjetunion die „Wiederherstellung demokratischer Zustände und
Einrichtungen in Österreich“ unterstützen, ohne jedoch die Gesellschaftsord-
nung zu ändern oder „sich irgendeinen Teil des österreichischen Territoriums
anzueignen“. Die Erklärung ließ keinen Zweifel daran, dass letztlich der Wie-
deraufbau der Demokratie Aufgabe des österreichischen Volkes selbst sein
müsse: Die Rote Armee habe lediglich den Befehl erhalten, „der Bevölkerung
Österreichs in diesem Werk beizustehen“.135
Nach dem Ende der Kampfhandlungen nahm die Arbeit unter der Be-
völkerung eine etwas andere Form an, so der Leiter der Politabteilung der
4. Garde-Armee: „Fortan besteht unsere Aufgabe darin, der örtlichen Bevöl-
kerung die Wahrheit über die Rote Armee und die Sowjetunion zu erzählen,
unsere Errungenschaften im Bereich von Industrie, Wissenschaft und Kunst
sowie im Bereich der Volksbildung und die Kultur der Völker der Sowjetuni-
on zu zeigen. Schließlich stellen wir uns die Aufgabe, über die großen Siege
des sowjetischen Volkes im Vaterländischen Krieg zu berichten.“ Mehrere
Flugblätter zu Themen wie „Die Rote Armee – die stärkste Armee der Welt“
mit einer Auflage von jeweils 25.000 Exemplaren wurden gedruckt, beinahe
1700 Lautsprechereinsätze organisiert und 546 Versammlungen der Bevölke-
rung in der sowjetischen Zone abgehalten.136 Dabei ging man im sowjetischen
Weltbild von der Überlegenheit der sowjetischen Kultur gegenüber bürger-
lichen Kulturen aus. Die Größe der sowjetischen Kultur habe sich ihren Ver-
fechtern zufolge auch durch den Sieg über die Deutschen im „Großen Vater-
ländischen Krieg“ manifestiert.137 Die Vertreter dieser Kultur in Deutschland
und Österreich, die Offiziere und Mannschaftssoldaten der Roten Armee,
sollten als Vorbilder dieser Überlegenheit dienen – ein Vorhaben, das in vie-
len Fällen fehlschlug.
135 Erklärung der Sowjetregierung über Österreich, in: Österreichische Zeitung, 15.4.1945, S. 1; Aichin-
ger, Sowjetische Österreichpolitik, S. 115f. In der sowjetischen Literatur wird die Bedeutung dieser
Erklärung besonders hervorgehoben. Vgl. etwa: Andrej Stepanow, Die Moskauer Österreich-Erklä-
rung. Zum 25. Jahrestag der Außenministerkonferenz der UdSSR, der USA und Großbritanniens
1943, in: Sowjetunion heute. 20/1968, S. 6; P. S. Gračev (Hg.), Voennaja ėnciklopedia v vos’mi to-
mach. Bd. 2 Vavilonija – Gjujs. Moskau 1994, S. 65.
136 CAMO, F. 275, op. 356369s, d. 2, S. 256–268, hier: S. 257, Bericht von V. Smirnov über die Arbeit
unter der österreichischen Bevölkerung im Zeitraum vom 1. April bis 1. August 1945 [August 1945].
137 Naimark, Die Russen in Deutschland, S. 501f.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918