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2. Carl Szokoll und die Sowjets: militärischer Widerstand in Wien 107
den Führungskreisen der O5 und den Leitern der paramilitärischen Forma-
tionen bekannt und beschloss, diesen auszuführen, sobald mit dem sowjeti-
schen Oberkommando Verbindung aufgenommen worden wäre.169
Dies deckt sich auch mit einem Politbericht der 9. Garde-Armee vom 3.
April 1945, wonach Szokoll zu diesem Zeitpunkt bereits in Verbindung mit
der O5 gestanden sei. Raoul Bumballa,170 der Leiter der O5, berichtete darin
wörtlich: „Abgesehen von der Propagierung unserer Ideen unter der Bevöl-
kerung stellten wir die Verbindungen mit den Teilen der Wehrmacht her, wo
sich Österreicher befanden – Patrioten ihrer unterjochten Heimat. Dafür wur-
de der Kontakt mit einem Österreicher, Major Szokoll, hergestellt, der in der
Wehrmacht diente.“171
Die nun zugänglichen sowjetischen KGB-Akten172 legen den Schluss nahe,
dass Szokoll selbst erst Anfang April 1945 direkte Verbindung zur Führungs-
riege der O5 aufnahm. So beschrieb Gustav Fraser von der O5 Anfang Mai
1945 gegenüber dem sowjetischen Stadtkommandanten Aleksej V. Blagoda-
tov die Kontaktaufnahme Szokolls mit der O5 folgendermaßen: „Da erschien
eines Tages in meiner Wohnung Baron Nikolaus Maasburg, der mir als Ver-
wandter des mir bekannten Grafen Thun-Hohenstein ebenfalls bekannt war.
Er erklärte mir Folgendes: Er sei ein Vertrauensmann des Major Sokol [sic!],
Generalstabschef des Kampfkommandanten von Wien. Major Sokol [sic!]
habe Verbindung mit dem Hauptquartier des Marschalls Tolbuchin aufge-
nommen und von ihm die Zusicherung erhalten, dass die Wasserversorgung
Wiens nicht zerstört, die Stadt weitestgehend geschont werden würde, wenn
es der Widerstandsbewegung gelänge, die Brücken über die Donau intakt
zu halten und die Stadt möglichst kampflos der Roten Armee zu übergeben.
Der Marschall verlange ausdrücklich die Mitwirkung der Organisation O5
169 Luža, Der Widerstand in Österreich, S. 263; Otto Molden, Der Ruf des Gewissens. Der österreichi-
sche Freiheitskampf 1938–1945. Wien 1958, S. 222f.
170 Raoul Bumballa wurde am 10. September 1895 in Troppau geboren. Das Doktorat, das er seit An-
fang 1921 nachweislich führte, hatte er jedoch nie erworben. Vgl. Rathkolb, Raoul Bumballa, S. 296.
In sowjetischen Quellen findet sich mitunter der Doppelname „Bumballa-Burenau“ bzw. lediglich
„Burenau“.
171 CAMO, F. 243, op. 2914, d. 132, S. 29–33, Bericht des Leiters der Politabteilung der 9. Garde-Armee,
Molin, an die Politverwaltung der 3. Ukrainischen Front, 3.4.1945. Abgedruckt in: Institut Voennoj
Istorii, Krasnaja Armija v stranach Central’noj Evropy, S. 611–614.
172 Herrn Dir. Dr. Vasilij Christoforov, Moskau, sei für die Zurverfügungstellung von Dokumenten
über Carl Szokoll aus dem CA FSB herzlich gedankt. Vgl. Vasilij Christoforov, Zu den Dokumenten
über die österreichische Widerstandsbewegung aus dem Zentralarchiv des Föderalen Sicherheits-
dienstes der Russischen Föderation, in: Stefan Karner – Karl Duffek (Hg.), Widerstand in Österreich
1938–1945. Die Beiträge der Parlaments-Enquete 2005. Graz – Wien 2007, S. 195–200. Eine Auswahl
der Dokumente findet sich in: Dokumente aus dem KGB-Dossier zu Carl Szokoll. Ausgewählt von
Vasilij Christoforov, in: Stefan Karner – Karl Duffek (Hg.), Widerstand in Österreich 1938–1945. Die
Beiträge der Parlaments-Enquete 2005. Graz – Wien 2007, S. 201–212.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918