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II. Kriegsende in
Österreich112
Major Karl Biedermann, Oberleutnant Rudolf Raschke und Leutnant Alf-
red Huth, die zu Szokolls Stab gehörten, wurden nach ihrer Verhaftung vor
ein Standgericht gestellt und im Schnellverfahren zum Tod verurteilt. Wegen
der beginnenden Kampfhandlungen brachte man sie über die Donau nach
Floridsdorf, wo sie zunächst in einem Schulgebäude eingesperrt wurden.
Am 8. April wurden sie schließlich von einem Sonderkommando der SS am
Floridsdorfer Spitz auf Laternenmasten öffentlich gehenkt. „Ich habe mit den
Bolschewiken paktiert“, stand auf Pappkartonschildern, die man ihnen umge-
hängt hatte.196
2.3 Wirkung und sowjetische Einschätzung
Es ist beinahe müßig, über die Realisierungschancen der „Operation Radetz-
ky“ zu urteilen, weil sie eben nicht wie geplant verwirklicht werden konnte.
Doch übte die Tätigkeit der militärischen Widerstandsbewegung – ungeach-
tet dessen, dass der Aufstandsplan entdeckt wurde – zweifellos eine nach-
haltige Wirkung gerade auf diese Phase des Kampfes aus. So weckte allein
der Umstand, dass mit Major Szokoll eine Schlüsselfigur der Widerstandsbe-
wegung eine führende Stelle im Stab des Kampfkommandanten einnehmen
hatte können, das besondere Misstrauen der SS. Sie war fortan davon über-
zeugt, die gesamte Gruppe um den Kampfkommandanten sei von der Wi-
derstandsbewegung unterwandert und somit nicht mehr zuverlässig. Auch
wusste man nicht mehr, welche Truppen des Verteidigungsbereiches mit der
Widerstandsbewegung sympathisierten und welche noch eingesetzt werden
konnten. Diese Unsicherheit blieb nicht ohne Folgen.197
Laut Szokoll konnten seine Pläne für den Aufstand in Wien zumindest an-
satzweise – etwa durch Lotsendienste für die sowjetischen Truppen198 – in die
196 Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich, S. 165f.; Portisch, Am Anfang war das Ende, S. 120f.; Szo-
koll, Die Rettung Wiens, S. 336–339. Anlässlich der Übergabe des Parlaments am 29. April 1945
wurden an den Gräbern der in Floridsdorf hingerichteten Widerstandskämpfer sowjetische Ehren-
posten aufgestellt. Vgl. Bruno Sokoll, Floridsdorf: Erinnerungen aus 1945, in: Wiener Geschichts-
blätter. 30/1975, S. 94–97, hier: S. 97; Mueller, Die sowjetische Besatzung, S. 105. Am 8. April 1950
wurde am Floridsdorfer Spitz ein Gedenkstein für die drei Mitglieder des militärischen Widerstan-
des enthüllt, der 1962 aus verkehrstechnischen Gründen abgetragen werden musste. 1964 wurde
eine Gedenktafel beim Haupteingang des Städtischen Amtshauses Am Spitz 1 enthüllt. Vgl. Doku-
mentationsarchiv des österreichischen Widerstandes (Hg.), Gedenken und Mahnen in Wien 1934–
1945. Gedenkstätten zu Widerstand und Verfolgung, Exil, Befreiung. Eine Dokumentation. Wien
1998, S. 418. Nach Rudolf Raschke, Alfred Huth und Ferdinand Käs sind heute drei benachbarte
Straßen in der Nähe des Floridsdorfer Spitz benannt. Im 14. Wiener Gemeindebezirk wurde nach
Biedermann, Huth und Raschke eine Kaserne benannt.
197 Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich, S. 164.
198 Meldegänger der O5, unter ihnen Mitja Gutov, führten sowjetische Einheiten über die Hütteldorfer
Straße und die Triester Straße ins Zentrum Wiens. Vgl. Rathkolb, Raoul Bumballa, S. 301.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918