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2. Carl Szokoll und die Sowjets: militärischer Widerstand in Wien 113
Tat umgesetzt werden.199 Damit setzte er einen Kontrapunkt zum Bild des Ju-
bels auf dem Wiener Heldenplatz 1938.200 Wien wurde im Zusammenwirken
mit der Roten Armee nicht zuletzt durch die „Operation Radetzky“ in nur
acht Tagen und – im Vergleich zu Budapest oder Berlin – ohne allzu große
Zerstörungen befreit.201 Während eines der Verhöre durch den sowjetischen
Geheimdienst bezeichnete Szokoll außerdem die Rettung der Reichsbrücke
und einer Brücke über den Donaukanal als jene Hilfestellung, die seine mi-
litärische Widerstandsgruppe der Roten Armee geleistet hatte.202 Diese Leis-
tungen beanspruchte – ganz abgesehen von der Roten Armee203 – auch die O5
für sich,204 was wiederum als Ausdruck des schwelenden Konkurrenzkamp-
fes zwischen den einzelnen österreichischen Widerstandsgruppen zu werten
ist.
Dass die Deutsche Wehrmacht einen erheblichen Teil ihrer an sich gerin-
gen Streitkräfte umgruppieren musste, weil der Hauptstoß des sowjetischen
Angriffs aus dem Westen gekommen war, gab Szokolls Plänen recht. Wie
schon erwähnt, hatten allerdings die Sowjets nicht erst seit der Kontaktauf-
nahme mit der österreichischen Widerstandsgruppe selbst diese Vorgehens-
weise verfolgt.205
2.3.1 Moskauer Skepsis
Dabei stellt sich die Frage, wieweit der Versuch einer Zusammenarbeit der
österreichischen Widerstandsbewegung mit den Sowjets das Vorgehen der
drei unmittelbar auf Wien angesetzten sowjetischen Armeen beeinflusste und
wie die Widerstandsgruppe um Major Szokoll von der sowjetischen Seite ge-
sehen wurde. Möglicherweise wurde das sowjetische militärische Vorgehen
199 Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich, S. 148, 164f.; Molden, Die Feuer in der Nacht, S. 175f.
200 Waltraud Schreiber, Bestandsaufnahme zum Film „Der letzte Kronzeuge Stauffenbergs. Carl Szo-
koll und die Zivilcourage“, in: Barbara Dmytrasz – Friedrich Öhl (Hg.), Carl Szokoll (1915–2004).
Materialien für den Unterrichtseinsatz eines Zeitzeugenportraits. Wien 2005, S. 40–48, hier: S. 47.
201 Szokoll, Die Rettung Wiens, Klappentext. Darauf, dass durch das Zusammenwirken der Roten Ar-
mee mit der militärischen Widerstandsgruppe unter Szokoll größere Zerstörungen Wiens vermie-
den wurden, verweist auch: CA FSB RF, K-109717, t. 4, S. 107–109, auf Deutsch S. 110f., Bericht über
die Tätigkeit der Kommunistischen Partei Österreichs, o. D. [1945].
202 CA FSB RF, K-109717, t. 1, S. 31–41, Verhörprotokoll von Carl Szokoll, 17.9.1945. Abgedruckt in:
Karner – Duffek, Widerstand in Österreich, S. 209–211.
203 Vgl. dazu etwa die dramatische Schilderung der Rettung der Reichsbrücke durch Einheiten der
Roten Armee in: Kadyrov, Ot Minska do Veny, S. 167–171; Boris Dubrowin, Zum 30. Jahrestag der
Befreiung Österreichs, in: Sowjetunion heute. 8/1975, S. 5–8, hier: S. 8. Der österreichische Wider-
stand findet in diesem Zusammenhang keinerlei Erwähnung.
204 CA FSB RF, K-109717, t. 3, S. 69–71, Memorandum von Gustav Fraser über die Tätigkeit der O5, o.
D. [nach dem 15.4.1945].
205 Molden, Die Feuer in der Nacht, S. 175f.; Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich, S. 148–150.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918