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II. Kriegsende in
Österreich118
am 19. April 1945 im sowjetischen Volkskommissariat für Äußeres einlang-
te. Er dürfte bis dahin auch keine einschlägigen Befehle bezüglich der Wi-
derstandsbewegung erhalten haben. Diese Verzögerung hing aber eventuell
auch damit zusammen, dass Dekanozov als Politischer Berater für Österreich
im NKID zu diesem Zeitpunkt gerade nach Österreich gereist war.225
Nachdem sich die Lage in Wien einigermaßen normalisiert hatte, trat auch
Carl Szokoll selbst wieder auf den Plan: Er wandte sich bereits am 10. April
an den sowjetischen Stab in der Lange Gasse im 8. Wiener Gemeindebezirk
und soll von einem sowjetischen Generaloberst beauftragt worden sein, mit
Unterstützung der KPÖ und der O5 die Polizei in Wien zu organisieren.226
Als Chef der weitgehend unbewaffneten Hilfspolizei amtierte Szokoll vom
Palais Auersperg aus mit ein paar Hundert Widerstandskämpfern, die mit
rot-weiß-roten Armbinden als solche erkennbar waren. Am 12. April soll
er eine Petition an Blagodatov gerichtet haben, worin er zum einen um den
Schutz der Zivilbevölkerung vor „Plünderungen und Vergewaltigungen
allein herumziehender russischer Soldaten“ ersuchte und zum anderen die
Beschlagnahmung sämtlicher Vorräte und Kraftfahrzeuge durch die Rote Ar-
mee kritisierte, wodurch „sämtliche Versorgungseinrichtungen lahmgelegt
werden und sie [die Stadt Wien] in kürzester Zeit einer Hungersnot entge-
gengehen“ würde.227
Ebenfalls am 12. April präsentierte Szokoll Offizieren der Roten Armee
seine Vorstellungen über „eine erste, aus Widerstandskämpfern der O5 und
der KP zusammengesetzte zivile Vertretung“. Die sowjetische Seite delegier-
te zwei Verbindungsoffiziere der Roten Armee ins Palais Auersperg ab, die
jedoch eher der Kontrolle als der Unterstützung der O5 gedient haben dürf-
ten.228
Bald sollte sich zeigen, dass weder die sowjetischen Verantwortlichen
noch die um Einfluss ringenden neuen politischen Parteien an der Existenz
der O5 interessiert waren: Den ersten diesbezüglichen Schritt setzte die KP,
deren führende Vertreter, Johann Koplenig und Ernst Fischer, am 12. April
aus dem Moskauer Exil nach Wien zurückgekehrt waren. Noch in der Nacht
225 Die Reise von Dekanozov nach Österreich ist durch die Memoiren Ernst Fischers belegt, der bei
seiner Rückkehr aus Moskau im selben Flugzeug saß wie Dekanozov. Vgl. Fischer, Das Ende einer
Illusion, S. 19; Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht, S. 42.
226 CA FSB RF, K-109717, t. 3, S. 5, Verhörprotokoll von Carl Szokoll, 24.4.1945. Laut Verhörprotokoll
konnte Szokoll diese Aufgabe jedoch nicht „zur Gänze erfüllen“, da ihn das sowjetische Komman-
do wenig später, nämlich am 15. April, verhaften ließ.
227 Szokoll, Die Rettung Wiens, S. 379. Vgl. Fritz Molden, Besetzer, Toren, Biedermänner. Ein Bericht
aus Österreich 1945–1962. Wien – München – Zürich – New York 1980, S. 72f.
228 Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik, S. 162; Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjetischer Sicht,
S. 65.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918