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2. Carl Szokoll und die Sowjets: militärischer Widerstand in Wien 119
vom 12. auf den 13. April suchten sie das Palais Auersperg auf, um mit der
Widerstandsbewegung in Kontakt zu treten, gewannen dort aber einen denk-
bar schlechten Eindruck von den „Schwätzern von O5“. Fischer notierte in
sein Notizbuch, es handle sich bei diesen um eine „Bande von Gaunern,
Schwindlern und naiven Leuten“, die er und Koplenig bald „kaltstellen“
wollten.229 Selbst die innerhalb der O5-Führung aktiven Kommunisten stie-
ßen bei der Moskauer KPÖ-Führung auf Misstrauen, mit dem sie gegenüber
der Sowjetbesatzung nicht hintanhielten.230
Am folgenden Tag, dem 13. April, ließ Blagodatov Fischer in die sowjeti-
sche Stadtkommandantur zu einer Unterredung mit Bumballa, Fraser und
Oswald über die Wiener Stadtverwaltung rufen.231 Laut seiner Memoiren
wurde zugleich auch Szokoll zu Blagodatov geladen, der den „Helden von
Wien“ als Ersten in sein Zimmer geführt haben soll, während Fischer und
Bumballa angeblich im Vorzimmer warten mussten. Über den Inhalt dieser
Unterredung geben die Szokoll-Memoiren keinen Aufschluss.232
Zum Wiener Bürgermeister schlugen die Exponenten der O5 General-
leutnant Blagodatov den ehemaligen sozialdemokratischen Stadtrat Anton
Weber vor, der jedoch ablehnte.233 Den Kommunisten Rudolf Prikryl, den ein
sowjetischer Major am 11. April im Einvernehmen mit der O5 und kommu-
nistischen Widerstandskämpfern zum provisorischen Bürgermeister ernannt
hatte, sahen sie als Vizebürgermeister vor. Die O5 konnte sich mit ihrem Vor-
schlag gegenüber den etablierten Parteifunktionären allerdings nicht durch-
setzen: Prikryl trat in den Hintergrund, weil er Fischer unbekannt war. Fi-
scher bezweifelte zudem die Eignung Webers zum Bürgermeister und schlug
an seiner Stelle General a. D. Theodor Körner vor, ohne allerdings „den Sozi-
aldemokraten vorzugreifen“.234 Auch ein weiterer Vorschlag der O5, nämlich
Eduard Seitz für die Sozialdemokraten und Viktor Müllner für die Christ-
lichsozialen als Stadträte einzusetzen, wurde nicht angenommen.235
Mit der negativen Einstellung der kommunistischen Führungsgruppe
und der entsprechenden Haltung der sowjetischen Repräsentanten fiel jede
Notwendigkeit für die SPÖ und die ÖVP weg, die Widerstandsbewegung
229 Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik, S. 162f.; Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 68f.; Portisch,
Am Anfang war das Ende, S. 206f.
230 RGASPI, F. 17, op. 128, d. 35, S. 13–17, Bericht des stv. Leiters der 7. Verwaltung der GlavPURKKA,
B. G. Sapožnikov, an den Leiter der Abteilung für Internationale Information des ZK VKP(b), G. M.
Dimitrov, über die Österreichische Widerstandsbewegung O5, 28.4.1945.
231 Fischer, Das Ende einer Illusion, S. 45–47.
232 Szokoll, Die Rettung Wiens, S. 374f.
233 Anton Weber, Erinnerungen an die Apriltage 1945, in: Wiener Geschichtsblätter. 30/1975, S. 70–73.
234 Fischer, Das Ende einer Illusion, S. 46; Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik, S. 165–167.
235 Rathkolb, Raoul Bumballa, S. 302.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918