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2. Carl Szokoll und die Sowjets: militärischer Widerstand in Wien 123
tige- und eventuell sogar Machtverlust für Karl Renner bedeutet, was zu
diesem Zeitpunkt keineswegs im sowjetischen Interesse lag.250 Auch rückbli-
ckend wurde der O5 in einem internen Bericht an das Ministerium für Staats-
sicherheit vorgeworfen, sie hätte eine eigene Regierung bilden wollen, was
jedoch das sowjetische Kommando durch Verweigerung der Unterstützung
verhindern hätte können. Darüber hinaus hätte insbesondere Bumballa ver-
sucht, die Widerstandsbewegung für die Interessen der ÖVP zu instrumen-
talisieren.251
2.4 Szokolls Verhaftung und Verhöre
Bereits in den ersten Tagen nach der Befreiung Wiens verhafteten die Sowjets
Mitglieder der Widerstandsbewegung, die von der sowjetischen Spionageab-
wehr „Smerš“ bezüglich ihrer Tätigkeit und der Organisation der O5 verhört
wurden.252 Unter ihnen befanden sich auch die KP-Angehörigen der O5, Clo-
tilde Hrdlicka und Mitja Gutov, während Raoul Bumballa, der letztlich auch
als Unterstaatssekretär für Inneres als einziges Mitglied der Widerstandsbe-
wegung in die provisorische Staatsregierung Renner aufgenommen wurde,
selbst unangetastet blieb.253
Zu Szokolls Verhaftung durch die Sowjets lagen bisher eher vage und teil-
weise sogar widersprüchliche Angaben vor. Durch die vorliegenden Doku-
mente aus dem Archiv des FSB (vormals KGB) lassen sich nun erstmals der
Zeitpunkt von Szokolls Festnahme, seine Flucht aus dem Lager sowie seine
neuerliche Verhaftung im Herbst 1945 rekonstruieren. Darüber hinaus er-
lauben die Verhörprotokolle und die von der sowjetischen Spionageabwehr
eingeholten Informationen Einblicke in die sowjetische Einschätzung der ös-
terreichischen Widerstandsbewegung.
Carl Szokoll wurde am 15. April 1945 festgenommen und von Mitarbei-
tern der „Smerš“ noch am selben Tag in Wien und später in Baden bei Wien
250 Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik, S. 173f. Es überrascht daher auch kaum, dass das Zentral-
archiv des ehemaligen KGB Unterlagen über die provisorische Staatsregierung Renner im selben
Akt wie Dokumente zum österreichischen Widerstand aufbewahrt. Vgl. CA FSB RF, K-109717, t. 4,
S. 47–48, auf Deutsch S. 49, Bericht über die Tätigkeit der provisorischen Staatsregierung Renner,
[1945].
251 CA FSB RF, F. 4, op. 4, d. 1441a, S. 94–104, Bericht des Leiters der Inspektion der SČSK, Bogdanov,
an den stv. Minister für Staatssicherheit, N. N. Selivanovskij, über die Tätigkeit der Widerstandsbe-
wegung in Österreich, 14.11.1946.
252 Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik, S. 170f.
253 Rathkolb, Raoul Bumballa, S. 304–306; CA FSB RF, K-109717, t. 4, S. 31, auf Deutsch S. 32, Aufstel-
lung über die Parteizugehörigkeit der Mitglieder der provisorischen Regierung, [1945]. Bumballa
verließ am 2. November 1945, vor den ersten Nationalratswahlen, die ÖVP, behielt aber auf Drän-
gen Renners weiterhin seine Funktion in der Regierung. Vgl. Rathkolb, Raoul Bumballa, S. 307.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918