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II. Kriegsende in
Österreich124
verhört. Die sowjetische Spionageabwehr interessierte sich in dieser Phase
insbesondere für die Tätigkeit und die Mitglieder der O5 sowie für Szokolls
Verhalten nach dem Scheitern des Aufstandes.254 Als Hintergrundinformati-
on wurden außerdem von Österreichern verfasste Berichte über die Wider-
standsgruppen255 oder den geplanten militärischen Aufstand eingeholt.256 Ne-
ben Hinweisen auf das Naheverhältnis mancher Widerstandskämpfer zum
amerikanischen Geheimdienst betonte etwa einer der Verfasser, die österrei-
chischen Kommunisten könnten „nicht für Szokoll garantieren“.257
Szokoll wurde schließlich in ein Lager für Kriegsgefangene nach Kaiser-
ebersdorf verbracht. Seine Schwiegermutter wandte sich bald mit der Bitte
um Hilfe an Staatssekretär Ernst Fischer: Szokoll, „der an der exponiertes-
ten Stelle als militärischer Inspirator und Leiter der österreichischen Wider-
standsbewegung sein Leben aufs Spiel gesetzt“ habe, werde seit nunmehr
fünf Wochen festgehalten, wodurch seiner Frau und dem vier Monate al-
ten Kind ihr „Ernährer und Fürsorger“ fehlten. „Bei weiterer Andauer die-
ses entsetzlichen Zustandes [wären sie] voraussichtlich dem Schlimmsten
preisgegeben.“258 Dies ist bezeichnend für die schlechten materiellen Verhält-
nisse, in denen Widerstandskämpfer bzw. deren Witwen in der ersten Nach-
kriegszeit leben mussten.259
2.4.1 Flucht aus Kaiserebersdorf
Am 2. Juni 1945 konnte Szokoll gemeinsam mit seinem ehemaligen Sekretär
Heinz Netsch, den die Sowjets ebenfalls im April festgenommen hatten, flie-
hen. Er lebte daraufhin zunächst illegal in Wien,260 aus Angst, die Sowjets wür-
254 CA FSB RF, K-109717, t. 3, S. 1–5, Verhörprotokoll von Carl Szokoll, 24.4.1945.
255 CA FSB RF, K-109717, t. 4, S. 34–37, auf Deutsch S. 38–40, Bericht über die Tätigkeit der österreichi-
schen Widerstandsgruppen, 15.4.1945; CA FSB RF, K-109717, t. 4, S. 64–71, auf Deutsch S. 72–75,
Bericht über die Tätigkeit des aus dem Freikorps Helmut Wenger hervorgegangenen „Österreichi-
schen Kampfbundes“, 17.5.1945.
256 CA FSB RF, K-109717, t. 3, S. 42–44, auf Deutsch S. 46–49, Bericht über die Vorbereitung und die
Niederschlagung des Aufstandes in Wien, 24.4.1945.
257 Ebd., S. 44.
258 CA FSB RF, K-109717, t. 4, S. 94, auf Deutsch S. 93, Schreiben der Schwiegermutter von Carl Szokoll
an Ernst Fischer, 18.5.1945.
259 Brigitte Bailer-Galanda, Podiumsdiskussion „Widerstand in Österreich 1938–1945“, in: Stefan Kar-
ner – Karl Duffek (Hg.), Widerstand in Österreich 1938–1945. Die Beiträge der Parlaments-Enquete
2005. Graz – Wien 2007, S. 261–264.
260 CA FSB RF, K-109717, t. 1, S. 48f., Beschluss der UKR „Smerš“ der Südlichen Gruppe der Streitkräfte
über die Einstellung der Untersuchung und Befreiung von Carl Szokoll aus der Haft, 17.10.1945.
Abgedruckt in: Karner – Duffek, Widerstand in Österreich, S. 212; CA FSB RF, K-109717, t. 1, S.
23–26, Verhörprotokoll von Carl Szokoll, 13.9.1945. Abgedruckt in: Karner – Duffek, Widerstand in
Österreich, S. 207f. Vgl. Szokoll, Die Rettung Wiens, S. 380–384.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918