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3. Militärischer Vormarsch und Regierungsbildung
Am 16. März 1945 begann von Ungarn aus die „Wiener Angriffsoperation“
der 3. Ukrainischen Front unter Marschall Fedor I. Tolbuchin und eines Teils
der 2. Ukrainischen Front unter Marschall Rodion Ja. Malinovskij. Noch am 6.
März hatte die Deutsche Wehrmacht eine letzte Gegenoffensive am Platten-
see gestartet, die aufgrund der sowjetischen Übermacht gescheitert war. Am
Gründonnerstag, dem 29. März 1945, überschritten schließlich um 11.05 Uhr
Einheiten der 6. Garde-Panzerarmee der 3. Ukrainischen Front den „Südost-
wall“ bei Klostermarienberg nördlich des Geschriebensteins und drangen auf
burgenländisches Gebiet vor.288 Österreich wurde bis zur totalen Niederlage
des Deutschen Reiches zum Kampfgebiet.
Die von der NS-Propaganda aufgebauschte „Reichsschutzstellung“ (oder
„Südostwall“) – eine Verteidigungslinie, die laut Planung von Bratislava über
den Neusiedler See, den Geschriebenstein, Radkersburg, Marburg und Lai-
bach bis an die Adria reichen sollte – stellte an den meisten Abschnitten nicht
viel mehr als eine improvisierte letzte Auffanglinie und jedenfalls kein beson-
deres Hindernis für die rasch vordringenden sowjetischen Einheiten dar. Von
Oktober 1944 bis März 1945 waren beim Bau des „Südostwalls“ Zehntausen-
de Zwangsarbeiter – vor allem ungarische Juden – und Tausende Arbeiter
des Reichsarbeitsdienstes (RAD) im Einsatz gestanden. Teilweise hatten die-
selben „Schanzer“, nachdem die Front über sie hinweggerollt war, abermals
an den Schutzstellungen zu bauen, diesmal jedoch unter sowjetischem Kom-
mando und gegen die Deutsche Wehrmacht.289
3.1 Die „Wiener Angriffsoperation“
Das Hauptziel der auf österreichischem Boden agierenden Roten Armee be-
stand in der „Einnahme“ Wiens, der sechsten von der Roten Armee befreiten
europäischen Hauptstadt.290 Obwohl natürlich die rasche Eroberung Berlins
eindeutig im Vordergrund stand – das „Untier“ Hitler müsse „in seiner ei-
genen Höhle“ vernichtet werden –, sah Stalin in Wien keineswegs nur ein
drittrangiges Ziel seiner Streitkräfte. Am 6. August 1944 hatte man eigens die
288 Rauchensteiner, Der Krieg in Österreich, S. 126, 241; Gosztony, Planung, Stellenwert und Ablauf
der „Wiener Angriffsoperation“, S. 137. Laut Beleckij überschritten sowjetische Einheiten bereits „in
der Nacht vom 28. auf den 29. März die ungarisch-österreichische Grenze“. Vgl. Beleckij, Sovetskij
Sojuz i Avstrija, S. 61.
289 Karner, Die Steiermark im Dritten Reich, S. 400f.
290 Pilizyn, Österreich auf dem Weg der unabhängigen Entwicklung, S. 9.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918