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II. Kriegsende in
Österreich146
3.4 Aufbau der provisorischen Regierung
Zu einer Zeit, als die Westalliierten noch nicht einmal österreichisches Terri-
torium betreten hatten, gab Stalin den Auftrag, eine provisorische Staatsre-
gierung unter Karl Renner zu bilden.355 Der Kremlchef agierte dabei eigen-
mächtig – ohne Rücksprache mit den Westalliierten, obwohl man sich in der
EAC prinzipiell darauf geeinigt hatte, dass zunächst die Besatzungstruppen
die gesamte Gewalt in Österreich übernehmen sollten und erst danach der
Aufbau der Verwaltung in Österreich „von unten“, d. h. durch die Errich-
tung lokaler Verwaltungsbehörden, zu erfolgen hätte.356 Anfang April 1945
wollte nun Stalin, der während des Krieges im Gegensatz zu den Briten noch
keine konkreten Ideen zur personellen Zusammensetzung einer österreichi-
schen Regierung ausgearbeitet hatte, umgehend eine zentrale Zivilverwal-
tung errichten. Wie bereits erwähnt, gestand der sowjetische Regierungschef
weder den österreichischen Kommunisten noch den Widerstandskämpfern
die zen
trale Rolle bei der Regierungsbildung zu.357 Dies widersprach aber kei-
neswegs dem wesentlichsten Ziel der sowjetischen Führung zu dieser Zeit,
nämlich der Schaffung einer Sicherheitszone („Cordon sanitaire“) und der
Stärkung der kommunistischen Bewegung in den von der Roten Armee be-
setzten Ländern.358
3.4.1. Grünes Licht für Karl Renner
Zum Zug kam Karl Renner, der am 3. April 1945 im Stab der 103. Garde-
Schützendivision der 9. Garde-Armee „erschien“.359 Stalin, der bereits eini-
355 Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik, S. 122–131; Karner – Ruggenthaler, Unter sowjetischer
Kontrolle, S. 106–125; Rauchensteiner, Stalinplatz 4, S. 16–20; Mueller, Die sowjetische Besatzung
in Österreich, S. 75–82; Savenok, Venskie vstreči, S. 51f.; Wagner, Die Besatzungszeit aus sowjeti-
scher Sicht, S. 53–61; Barbara Stelzl-Marx, Österreichische „Wiedervereinigung“. Kontinuität und
Wandel, in: Manfried Rauchensteiner – Robert Kriechbaumer (Hg.), Die Gunst des Augenblicks.
Neue Forschungen zu Staatsvertrag und Neutralität. Wien – Köln – Weimar 2005, S. 187–222, hier:
S. 198–203. Die offizielle sowjetische Version lautete, dass die Sowjetregierung die provisorische
Regierung in Österreich nicht gebildet, sondern lediglich die Österreicher selbst „nicht gehindert“
habe, die Regierung zu bilden. Vgl. Sokolov, Sowjetische Österreichpolitik, S. 83f.
356 Jochen Laufer, Die UdSSR und die Zoneneinteilung Deutschlands (1943/44), in: ZfG. 1995/43, S.
309–331.
357 Siehe dazu und zum Folgenden Karner – Ruggenthaler, Unter sowjetischer Kontrolle, S. 116–118;
Rauchensteiner, Der Sonderfall, S. 68–70; Štemenko, General´nyj štab v gody vojny. Bd. 2. S. 359f.,
363f.
358 Karner – Ruggenthaler, Unter sowjetischer Kontrolle, S. 118.
359 Am 3. April 1945 sprach Renner beim Politoffizier der 103. Garde-Schützen-Division der 9. Garde-
Armee in Gloggnitz vor. Renner wurde daraufhin aufgefordert, in das Truppenkommando des
Stabes der 103. Garde-Schützendivision nach Köttlach mitzukommen. Vgl. Aichinger, Sowjetische
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918