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II. Kriegsende in
Österreich148
Stalins Telegramm enthaltenen Richtlinien bekannt.365 Zurück in Gloggnitz,
entwarf Renner mehrere Aufrufe an die österreichische Bevölkerung, die
Oberst Piterskij prüfte und nach Moskau weiterleitete.366 Von Schloss Eich-
büchl bei Wiener Neustadt aus verfasste Renner seinen mit 15. April datier-
ten, berühmt gewordenen Brief an „seine Exzellenz Marschall Stalin“, worin
er der Roten Armee und deren „ruhmbedeckten Obersten Befehlshaber […]
aufrichtigst und ergebenst“ dankte. Damit versuchte er offensichtlich, die
von ihm erwarteten sowjetischen Absichten auszuloten bzw. diesen zu ent-
sprechen.367 Im Generalstab löste der Brief ein Schmunzeln aus: „Es war nicht
leicht, in den begeisterten Auslassungen Renners über die Befreiungsmission
der Roten Armee Aufrichtigkeit von eigennütziger Schmeichelei zu trennen“,
erinnert sich Štemenko.368
Am 17. April traf das entscheidende Telegramm aus Moskau ein. Tol-
buchin erhielt darin „grünes Licht“, Renner mit der Bildung einer proviso-
rischen Regierung zu beauftragen.369 Zwei Tage später, am 19. April, wur-
de Renner, den die 4. Garde-Armee erst in Gloggnitz ausfindig machen
musste,370 zu Marschall Tolbuchin nach Wien gebracht. An dem Gespräch
nahmen von sowjetischer Seite außerdem Generaloberst Želtov, der sowjeti-
sche Stadtkommandant Generalleutnant Blagodatov, Oberst Piterskij und der
kommissarische Politberater Michail E. Koptelov teil. Unmittelbar davor hat-
365 Ebd.
366 Mueller, Die sowjetische Besatzung in Österreich, S. 79; Aichinger, Sowjetische Österreichpolitik, S.
125; Siegfried Nasko, April 1945: Renners Ambitionen trafen sich mit Stalins Absichten, in: Öster-
reich in Geschichte und Literatur. 1983/6, S. 336–346, hier: S. 340.
367 AVP RF, F. 066, op. 25, p. 119, d. 10, S. 2–4, Schreiben Renners an Stalin, 15.4.1945. Abgedruckt in:
Karner – Stelzl-Marx – Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dok. Nr. 19. Der Originalbrief
wurde bereits mehrfach publiziert, unter anderem in: David J. Dallin, Stalin, Renner und Tito. Ös-
terreich zwischen drohender Sowjetisierung und den jugoslawischen Gebietsansprüchen im Früh-
jahr 1945, in: Europa-Archiv. 1958/13–17, S. 11030–11033. Vgl. Aichinger, Sowjetische Österreichpo-
litik, S. 125; Karner – Ruggenthaler, Unter sowjetischer Kontrolle, S. 121f.
368 Schtemenko, Im Generalstab, S. 414. Vgl. Karner – Ruggenthaler, Unter sowjetischer Kontrolle, S.
121f.
369 CAMO, F. 148, op. 3763, d. 213, S. 84, Chiffretelegramm Nr. 11070, Semenov an Tolbuchin über die
provisorische Regierung und den Wiener Bürgermeister, 17.4.1945. Abgedruckt in: Karner – Stelzl-
Marx – Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, S. 24. Vgl. Karner – Ruggenthaler, Unter sowje-
tischer Kontrolle, S. 125; Mueller, Die sowjetische Besatzung in Österreich, S. 80.
370 Renner hatte Schloss Eichbüchl anscheinend ohne Wissen der Roten Armee verlassen, weswegen
Tolbuchin zunächst nichts über seinen aktuellen Aufenthaltsort wusste und ihn suchen ließ. Eine
diesbezügliche Nachfrage bei den NKVD-Truppen, die seit dem 15. April mehrere Personen zu
Renners Bewachung abgestellt hatten, hätte für Tolbuchin wohl eine Blamage bedeutet. Vgl. Kar-
ner – Ruggenthaler, Unter sowjetischer Kontrolle, S. 121–125; RGVA, F. 38756, op. 1, d. 6, S. 201,
Bericht des Kommandanten des 336. Grenzregiments der Truppen des NKVD zum Schutz des Hin-
terlandes der 3. Ukrainischen Front über die Bewachung der provisorischen Regierung Österreichs,
5.5.1945. Abgedruckt in: Karner – Stelzl-Marx – Tschubarjan, Die Rote Armee in Österreich, Dok.
Nr. 33.
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Stalins Soldaten in Österreich
Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- Stalins Soldaten in Österreich
- Subtitle
- Die Innensicht der sowjetischen Besatzung 1945–1955
- Author
- Barbara Stelzl-Marx
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78700-6
- Size
- 15.5 x 23.0 cm
- Pages
- 874
- Categories
- Geschichte Nach 1918